Alexander Zverev: Angriff auf die Majors
In abgelaufenen Tennisjahr hat Sascha Zverev mehr Matches und Titel gewonnen als jeder andere Profi auf der Tour. Die Art und Weise, wie sich der Olympiasieger bei den abschließenden ATP Finals in Turin durchsetzte, belegen die enorme Entwicklung in seinem Spiel. Können die neuentdeckte mentale Stabilität und der plötzlich so konstante Brachialaufschlag den Hamburger 2022 zum ersten Grand-Slam-Triumph tragen?
Unerfüllte Erwartungen
Als Alexander Zverev 2018 die ATP Finals in London gewann, wertete die Szene den Triumph als Sprungbrett zu seinem ersten Grand-Slam-Titel im folgenden Jahr. Schließlich hatte er vier Turniersiege in jener Saison gefeiert. Und von den als Next Generation gebrandmarkten Spielern traute man dem aktuellen Weltranglistendritten am ehesten zu, die Dominanz der Big Three Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djoković zu brechen.Die Annahme sollte sich als falsch herausstellen. Zverev konnte 2019 nur ein kleineres Event auf der ATP-Tour in Genf für sich entscheiden. Auf größeren Turnieren vermochte er keine Zeichen zu setzen, vor allem sein labiler zweiter Aufschlag erwies sich als Bürde für höhere Würden.
Blick auf 2022 gerichtet
Drei Jahre später krönte sich der Hamburger bei den Nitto ATP Finals wieder zum inoffiziellen Weltmeister - obwohl er im Vorfeld des nach Turin übersiedelten Turniers über Müdigkeit geklagt hatte. Die Diskussionen, ob er über das nötige Rüstzeug für einen Grand-Slam-Titel verfügt, sind jedenfalls wieder entflammt. Diesmal scheinen die Aussichten aber wesentlich realistischer zu sein.
Direkt nach dem Erfolg in der Fiat-Metropole gestand Deutschlands Nummer eins, bereits Richtung 2022 und die bevorstehenden Australian Open zu blicken, bei denen sich die nächste Möglichkeit auf einen Major-Triumph ergeben sollte: „Ich denke, ja, ich glaube schon. Ich meine, warum nicht, oder? Immerhin hatte ich auf jedem Level Erfolg. Es fehlt nur eine Sache. Und ich hoffe, diese Lücke im nächsten Jahr schließen zu können."
– 2022 hofft Zverev auf einen Major-Sieg.
Zwei Saisonbestmarken
Die Art und Weise, wie er bei den ATP Finals zum Titel stürmte, sind auch ein Beleg dafür, dass der 24-Jährige über die mentale Stärke verfügt, auch auf den größten Bühnen des Tennissports bestehen zu können. Vor dem Endspiel hatte er gegen Daniil Medvedev die fünf jüngsten ihrer sechs Duelle verloren, darunter das Turiner Vorrundenmatch in den Tagen zuvor. Erschwerend kam hinzu, dass Zverev am Vorabend Novak Djoković in einer auslaugenden Dreisatzschlacht niederringen musste, während der Russe am Nachmittag gegen Casper Ruud leichtes Spiel hatte.
An der psychischen Verfassung des Wahlmonegassen zu zweifeln, wäre nach dieser Saison nicht nur in Anbetracht der vergangenen Woche unangebracht. Trotz zahlreicher belastender Störfeuer abseits des Courts, inklusive des auch von der ATP untersuchten Vorwurfs häuslicher Gewalt, gewann Zverev in dieser Saison 59 Partien und sechs ATP-Titel, mehr Matches und Turniere als jeder andere auf der Tour.
Dosenöffner Olympia
Aufschlagquote jenseits der 70 Prozent
– John Isner über Zverevs Aufschlagquote.
Am Finalsonntag von Turin verzeichnete Zverev eine Quote von 74 Prozent erster Aufschläge, zu 83 Prozent machte er dabei den Punkt. Das zweite Service, einst ein harmloser Einwurf, entwickelte sich indes zu einer echten Waffe. Sowohl Djoković im Semifinale als auch Medvedev im Endspiel positionierten sich beim Return weit hinter der Grundlinie, um nicht von einem rund 200 Stundenkilometer schnellen Projektil überrascht zu werden. Dennoch bekam Zverev selbst mit dem ehemals zum Gegenangriff einladenden zweiten Aufschlag freie Punkte, so auch beim verwerteten Matchball.
Topfavorit in Australien?
Für das nächste Jahr sei er „so motiviert wie noch nie", betonte Zverev, der nun mit Freundin Sophia Thomalla zwei Wochen auf den Malediven abschalten will, ehe die Vorbereitung auf 2022 beginnt. „Ich werde so viel Arbeit wie möglich reinstecken und meinen Arsch dafür aufreißen, dass es passiert."
Und die Aussichten, den langersehnten Major-Triumph bereits im Januar in Melbourne einzutüten, dürften gut stehen. Novak Djoković wollte in Turin keine Zusage geben, nachdem die Organisatoren der Australian Open einmal mehr bestätigten, dass nur vollimmunisierte Spieler am ersten Grand Slam des Jahres antreten dürfen. Stefanos Tsitsipas muss am Ellbogen operiert werden, Rafael Nadal und Dominic Thiem kehren nach langen Auszeiten auf die Tour zurück. Und da der inzwischen 40-jährige Roger Federer einen Großteil der Saison verpassen dürfte, könnte 2022 vielleicht doch das Jahr des Alexander Zverev werden.