Die Macht der Schiedsrichter
Die Diskussion um die allgemein als überzogen gewertete Geldstrafe von Hugo Gaston für seinen Tennisball-Trick in Madrid erhält in Roland-Garros eine neue Dimension. Die Schiedsrichter würden schlicht zu viel Einfluss auf das Spiel ausüben, meinen nicht nur beim Pariser Grand Slam direkt betroffene Akteure. Fehlt den Unparteiischen tatsächlich das richtige Gespür?
Strafe höher als Einnahmen
Eine Szene im Zweitrunden-Match zwischen Hugo Gaston und Borna Coric beim Masters-Turnier in Madrid vor wenigen Wochen sorgte in der Tennis-Community weltweit für Aufregung. Aber nicht wegen des Vorfalls an sich, sondern viel mehr wegen der Höhe der verhängten Geldstrafe.
Was war geschehen? Der Franzose ließ während eines Ballwechsels vorsätzlich eine Filzkugel aus der Hosentasche auf den Platz fallen und wollte den Schiedsrichter auf diese Weise zur Wiederholung des Punktes nötigen.
Der Linkshänder wurde darauf von der ATP mit einer Buße von 144.000 Euro belegt. Im bisherigen Saisonverlauf hat Gaston allerdings nur 114.218 Euro an Preisgeld erspielt. Die Spielervereinigung begründete das ungewöhnlich hohe Strafmaß für das unsportliche Verhalten damit, dass die Nummer 109 der Welt bereits zum vierten Mal in diesem Jahr diesen Trick angewendet hat.
Drängen Umpires in den Mittelpunkt?
Nach einem öffentlichen Aufschrei und dem Einspruch des Wiederholungstäters wurde die Hälfte der Strafe zwar auf Bewährung für zwölf Monate ausgesetzt, doch muss das neue Enfant terrible des Tennissports jetzt spuren, wenn es keine verheerenden finanziellen Konsequenzen in Kauf nehmen will.
Während der in Roland-Garros mit einer Wildcard antretende Gaston zurecht für diese Aktionen in die Schusslinie geraten ist, äußerten immer mehr Spieler in den ersten Tagen der French Open lautstarke Kritik an den Offiziellen, denen vor allem Übereifer, fehlendes Gespür und ein unnötiges Drängen in den Mittelpunkt vorgeworfen wird.
Absurde Entscheidung gegen Norrie
Paire kommentierte den Vorfall um seinen Landsmann am Montag im Zusammenhang mit seiner Auftaktniederlage in Paris gegen den als Nummer 14 gereihten Cameron Norrie. Chair Umpire Nick Helwerth hatte die umkämpfte Fünfsatzpartie in einer kritischen Phase wegen Behinderung unterbrochen.
Nach einem mächtigen Vorhandschlag Norries wollte der Stuhlschiedsrichter einen Grunzer des Briten vernommen haben und belegte ihn mit einem Strafpunkt. Den darauffolgenden Breakball verwandelte der Franzose, der sich von er Entscheidung nicht minder verwirrt gezeigt hatte, dann zum Gewinn des dritten Durchgangs.
„Ich bin bis dahin nie bestraft worden und habe keine Ahnung, warum er sich bemüßigt gefühlt hat, sich in dieser Situation einzumischen. Es gab davor keine Warnung, außerdem war es ein wichtiger Punkt", konnte es Norrie auch nach der Partie nicht fassen.
– Cameron Norrie über die Entscheidung des Schiedsrichters
Kleine Sache, große Auswirkung
Schon am Sonntag hatte mit Daniel Evans ein weiterer Brite bei seiner Dreisatz-Niederlage gegen Underdog Thanasi Kokkinakis einen seinem Empfinden nach ungerechtfertigten Call hinnehmen müssen. Die Nummer 20 des Turniers soll in einem Schlüsselmoment, der letztlich zu einem Break führte, einen Fußfehler begangen haben, worauf er nach einer längeren Diskussion mit dem Unparteiischen eine Trinkflasche wegwarf.
„Sie wollen sich immer irgendwie in den Mittelpunkt stellen", wütete Evans im Anschluss. Wie die Fernsehbilder belegten, hatte der 33-Jährige zwar nicht die Grundlinie übertreten, war aber beim Aufschlag tatsächlich mit dem hinteren Bein um einen Hauch zu weit in der Mitte gestanden.
– Daniel Evans übt Kritik an der Entscheidung
Bußgelder kontinuierlich erhöht
Evans muss nun mit einer Geldstrafe von bis zu 20.000 Dollar rechnen, obwohl das Schleudern der Wasserflasche nicht übermäßig energisch ausfiel und er mit dem Wurf niemanden verletzen konnte. Die Summe verblasst dennoch in Vergleich zu jener Rechnung, die Gaston in Madrid aufgebrummt wurde.
Bei Zuwiderhandeln gegen den Verhaltenskodex wurden die Strafen über die Jahre substanziell erhöht. Und einige Profis haben inzwischen das Gefühl, dass sich Offizielle, insbesondere Stuhlschiedsrichter, gerne aufspielen und ihre Macht demonstrieren wollen, indem sie Punktabzüge für Unsportlichkeiten aussprechen, die in weiterer Folge zu hohen Geldbußen führen. „Ich finde es frustrierend", sagt Evans. „Eine Wasserflasche kaputtzumachen, ist wohl wirklich nicht der Rede wert."
Strenger Verhaltenskodex
Andere Spieler, darunter auch viele ehemalige Größen, sehen die Entwicklung bei der Einhaltung des Verhaltenskodex ebenfalls skeptisch. Nach dem vollzogenen bzw. absehbaren Abgang von klassischen Sportsmännern wie Roger Federer und Rafael Nadal würden Entscheidungsträger bunte, kontroverse, nicht immer einfache Persönlichkeiten an die kurze Leine nehmen wollen, lautet zumeist der Vorwurf.
Für sein Benehmen erntet Gaston ohnehin nicht viel Sympathie. Er vermittelt mit dem Tennisball-Trick viel mehr die Botschaft, betrügen zu wollen, was mit unkontrollierten Ausrastern oder wilden Diskussionen mit Schiedsrichtern keineswegs vergleichbar ist. Der 22-Jährige erzeugt dadurch eher Antiwerbung als Neugier und Faszination.
Die weit überzogene Strafe weist jedoch auf ein Dilemma hin, das die ATP dringend lösen muss. „Du kannst von den Leuten nicht mehr Geld verlangen als sie verdienen", bringt es Paire auf den Punkt. „Warum sollten wir sonst Tennis spielen?"