Daniil Medvedev: Der schräge Star
Mit dem letztjährigen Titelgewinn bei den US Open und der Eroberung der Weltranglistenspitze in diesem Jahr hat sich Daniil Medvedev als rechtmäßiger Thronfolger der schier übermenschlichen Ikonen Federer, Nadal und Djokovic etabliert. Dennoch ist dem Russen bewusst, dass sein völlig unorthodoxer Spielstil nur wenig begeistert. Dank seiner nicht minder bemerkenswerten Persönlichkeit zieht er trotzdem die Fanmassen an.
Unbeholfen wirkende Technik
In seiner gesamten Karriere hat Daniil Medvedev stets seinen eigenen, ungewöhnlichen Weg verfolgt. Immerhin brachte ihn diese Vorgehensweise auf und neben dem Platz bis an die Spitze der Weltrangliste. Und deshalb wird er sie auch nicht ändern, wie der Russe bei den aktuell laufenden US Open unterstreicht.
Umso konsequenter zieht Medvedev seine Linie durch - zurecht, weil ihm nur allzu sehr bewusst ist, dass hinter den unorthodoxen Schwüngen mehr steckt als man auf den ersten Blick erkennen mag. Schließlich feierte er vor zwölf Monaten in New York seinen ersten und bislang einzigen Grand-Slam-Titel.
Zweck heiligt den Spielstil
„Um einmal mit mir selbst hart ins Gericht zu gehen, muss ich gestehen, dass es garantiert nicht leicht sein dürfte, einen Daniil Medvedev als Tennisspieler zu mögen", sagte der 26-Jährige vor seinem glatten Auftaktsieg in Flushing Meadows gegen den US-Amerikaner Stefan Kozlov mit einem verschmitzten Gesicht über sich selbst.
Bis er 18 Jahre alt war, erzählt Medvedev, habe er auf jeden Ball so hart wie nur möglich eingedroschen.
Kritische New Yorker umgepolt
Mit dem New Yorker Publikum verbindet den Wahlmonegassen eine ganz besondere Beziehung, die 2019 ihren Ursprung fand. Bei den Matches wegen seines flegelhaften Verhaltens gnadenlos ausgepfiffen, meinte er damals bei den On-Court-Interviews, dass ihm die Zuschauer zusätzliche Energie verleihen würden.
Solche Aussagen stachelten die Besucher am USTA Billie Jean King National Tennis Center von Queens nur noch mehr auf. Im verlorenen Finale gegen Rafael Nadal fanden der so provokant ehrliche Tennisstar und die berüchtigt kritischen Fans aber auf magische Weise zueinander.
Es brauche eben Zeit, bis sein spezieller Charakter bei den Leuten ankomme, grinst Medvedev.
Diese Kombination aus seiner Persönlichkeit, seines Verhaltens auf dem Court, seinen Interviews nach den Matches und seines Lebens abseits des Tennissports würden die Zuschauer erst zu Fans machen.
Fast 19-jährige Serie durchbrochen
Zu Beginn des Jahres hätte der 14-malige Turniergewinner auf der ATP-Tour in Australien beinahe einen zweiten Major-Titel eingefahren, ehe Rafa Nadal im Finale nach 0:2-Satzrückstand und über fünf Stunden Spielzeit ein erstaunliches Comeback herbeizauberte. Wimbledon musste Medvedev aufgrund des Antrittsverbots russischer und weißrussischer Profis aussetzen, seither zeigte er sich mit dem Triumph in Los Cabos und dem Semifinal-Vorstoß in Cincinnati aber durchaus formstark.
„Ich trainiere gut mit meinem Team und habe eine Menge Selbstvertrauen", so der US-Open-Titelverteidiger, der beim diesjährigen US-Major eine unfassbare Serie durchbrach:
Chance auf Thronverbleib gestiegen
„Wenn ich eines Tages auf meine Karriere zurückblicke, möchte mir sicher sein, mein Bestes gegeben zu haben", erklärt der Schützling des französischen Starcoaches Gilles Cervara.
In der zweiten Runde in Flushing Meadows bekommt es Medvedev am Mittwoch mit dem Franzosen Arthur Rinderknech, die Nummer 58 der Welt, zu tun. Um auch nach dem letzten Major des Jahres an der Spitze des ATP-Rankings zu bleiben, muss der Moskauer im Big Apple zumindest das Endspiel erreichen. Und die Aufgabe scheint nach dem Eröffnungstag jedenfalls nicht schwerer geworden zu sein, schieden doch mit Nikoloz Basilashvili, Roberto Bautista Agut und Stefanos Tsitsipas gleich einige starke Widersacher in seiner Rasterhälfte aus.