Analyse: Die neue Sand-Normalität
Mit dem gerade zu Ende gegangenen Masters-Turnier in Monte Carlo ist die europäische Sandplatz-Saison so richtig angelaufen. Welche Herausforderungen bringt die Coronavirus-Pandemie in der wichtigsten und kräfteraubendsten Zeit des Jahres eigentlich mit sich? Und welche Spieler stehen auf roter Asche im Fokus?
Verlängerte Saison
Die prekäre Gesundheitslage in Frankreich im Allgemeinen und im Großraum Paris im Speziellen zwang die Veranstalter der French Open, das zweite Grand-Slam-Turnier des Jahres um eine Woche zu verschieben. Das Event findet nun vom 30. Mai bis 13. Juni statt.
Spieler legen mehr Pausen ein
Wie stellen sich die Tennisprofis auf diese Unsicherheitsfaktoren ein? Fest steht, dass die Spielpraxis in dieser Saison bei allen Akteuren gelitten hat: Nach einer zweiwöchigen Quarantäne vor den Australian Open wurde das erste ATP1000-Turnier in Indian Wells auf einen noch zu bestimmenden Termin verschoben, für die Masters-Veranstaltung in Miami sagten zahlreiche Spieler ihre Teilnahme ab. (wir haben berichtet)
Vor allem die Topstars machten sich rar, ist ihnen auf der Jagd nach Punkten, Titeln und Rekorden doch die Bedeutung von körperlicher und mentaler Frische in der wohl auslaugendsten Zeit des Jahres nur allzu bewusst. Während einer Pandemie müssen sie sich im traditionell an ATP-Events reichen Frühling mit weiteren die Psyche beeinflussenden Kriterien wie strengen Turnier-Bubbles, leeren Zuschauerrängen und dezimierten Betreuerstäben auseinandersetzen.Fordernde Zeit für Geist und Körper
Bei von den nationalen Regierungen erlassenen Lockdowns und Covid-Verordnungen gilt es für die Profis auch, den Fokus in dieser neuen Normalität nicht zu verlieren. Abzuwarten bleibt, ob, und wenn, welche Privilegien geimpften Spielern von den Turnierveranstaltern eingeräumt werden. Was außerhalb des Courts passiert, dürfte für einen etwaigen Erfolg jedenfalls immer mehr an Gewicht gewinnen.
Fast zum Alltag einer Sandplatz-Saison gehören Regenunterbrechungen. Und in einer Turnierblase bekommen die Faktoren Langeweile und Einsamkeit eine ganz neue Dimension, mit der nicht alle Profis gleichermaßen zurechtkommen. So war das eben erst beendete Monte Carlo Masters von zahlreichen wetterbedingten Zwangspausen geplagt, für das anstehende Turnier in Barcelona wird von den Meteorologen gar eine volle Woche an Niederschlägen prognostiziert.
Doch ebenso wie die mentale Komponente spielt die körperliche Fitness auf dem physisch kräfteraubendsten aller Beläge eine entscheidende Rolle. Sandplatz-Tennis handelt im Wesentlichen
- von guter Beinarbeit,
- der Einstellung auf Platzfehler
- und von kontrollierter Aggressivität.
Nadal bleibt unbestrittener King of Clay
Und der Mann, den es auf roter Asche zu schlagen gilt, heißt – auch nach dem etwas überraschenden und enttäuschenden Viertelfinal-Aus gegen Rublew – unverändert Rafael Nadal. Der Spanier lässt kaum Anzeichen erkennen, dass er mit knapp 35 Jahren auf dem langsamen Untergrund sein Tempo drosseln würde. Bei seiner 13. French-Open-Triumph im Herbst musste der Linkshänder keinen einzigen Satz im Turnier abgeben, auch in Monte Carlo blieb er in Runde eins und zwei makellos, wenngleich der Anlauf auf seinen dort zwölften Turnier-Titel im Viertelfinale stockte.
Und ja, Novak Djoković schied nach sieben Wochen Pause im Fürstentum gegen den Briten Daniel Evans ebenfalls früh aus. Doch scheint oft unterzugehen, welche bemerkenswerte Bilanz der Weltranglistenerste auf Sand aufzuweisen hat. Zehn seiner 36 Masters-Titel holte der Serbe, dessen Spielanlage von beispiellosen Allroundfähigkeiten lebt, auf rotem Untergrund. In vier dieser 1000er-Turniere bog er im Finale Rafael Nadal.
Thronfolger Thiem in Schaffenskrise
Wesentlich öfter mit dem körnigen Boden wird Dominic Thiem in Verbindung gebracht. Auch wenn er in der bisherigen Saison weit unter seinem Niveau agiert hat, sollte mit dem Österreicher auf seinem Lieblingsbelag zu rechnen sein. Der Start in den Frühling geht nach seinen Absagen für Monte Carlo und Belgrad wohl erst im Mai in Madrid vonstatten. Der aktuelle US-Open-Champion wird aber weitgehend aber als jener Spieler angesehen, der am ehesten am Thron des „King of Clay" zu rütteln im Stande ist.Der staubige Untergrund gewährt aber auch klassischen Shotmakern jenseits der Top Ten wie Fabio Fognini, Stan Wawrinka oder David Goffin große Möglichkeiten, da sie auf roter Asche mehr Zeit haben, ihre Schläge anzubringen. Doch die in der Szene durchaus umstrittene Tendenz, Sandplätze immer schneller zu machen und anderen Belägen anzugleichen, eröffnet selbst den eher auf härteren Böden auftrumpfenden Powerhittern immer mehr Chancen.
Die perfekte Mischung dieser beiden Pole stellt vielleicht Alexander Zverev dar. Sein überragender Aufschlag und die mächtige beidhändige Rückhand sind auch auf Sand nicht zu unterschätzende Waffen, weil der höhere Ballabsprung für beide Schläge von Vorteil ist. Zudem bewegt sich der 23-Jährige für seine Körpergröße von 1,98 Metren ungewöhnlich geschmeidig. Zwar lief es diesmal in Monte Carlo nicht wirklich rund, fünf seiner 14 Turniersiege konnte der Hamburger aber auf roter Asche feiern, zwei davon auf Masters-Ebene.
Barty und Ōsaka keine Asche-Fans
Auf der Damenseite fühlen sich die aktuell weltbesten Spielerinnen Ashleigh Barty und Naomi Ōsaka auf Sand weniger wohl als auf schnellen Belägen. Viel zugetraut wird im Frühjahr hingegen Bianca Andreescu. Power und Präzision, Schlagvariation und Beweglichkeit sowie Fokus und Intensität sind Kombinationen, die das Spiel der Kanadierin für Sand geradezu prädestinieren.
Gespannt darf man auch auf Iga Świątek sein, die mit dem Mix aus Härte und Touch sowie ihrer herausragenden Beinarbeit im doppelten Sinne spielerisch zum French-Open-Titel 2020 stürmte. Rechnet man ihre Auftritte im Fed Cup und auf ITF-Ebene ein, verzeichnet die Polin eine sagenhafte Sandplatz-Bilanz von 62:11-Siegen.