Frances Tiafoe: Für die große Bühne geschaffen
Welche Opfer für einen durchschlagenden Erfolg im Leben nötig sind, hatte Frances Tiafoe von seinen Eltern immer und immer wieder eingeimpft bekommen. Doch erst ähnliche, aber von zwei NBA-Ikonen gesprochene Worte brachten das extrovertierte, phasenweise vom rechten Weg abgeglittene Supertalent zurück in die Spur. Mit neujustierter Einstellung dürfte der große Wurf unmittelbar bevorstehen.
Gegen jede Regel
Selbstgefälligkeit zählt zu den tückischsten Handicaps, die einen Tennisprofi befallen können, sobald er einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt. Frances Tiafoe hätte es gleich doppelt treffen können. Seine charismatische Persönlichkeit und das launenhafte Auftreten, gepaart mit der inspirierenden Geschichte seiner Wurzeln, befördern das Supertalent automatisch auf eine vermeintliche Abkürzung Richtung Heldentum, die aber voller Haarnadeln und Schikanen ist.
Für große Bühne geschaffen
Massensportarten wie Fußball in Europa oder Basketball in Amerika sind von Athleten übersäht, die vor ihrem Erfolg oft krassen materiellen und sozialen Ungleichheiten ausgesetzt waren. Ihre persönlichen Geschichten finden in der breiten Öffentlichkeit dementsprechend weniger Nachhall. Für einen Sportler wie Tiafoe stellen die aufgrund seiner Herkunft und Hautfarbe zahlreichen Hindernisse eine umso größere Herausforderung dar, die er mit Bravour zu überwinden vermag.
Aktuell steht der Amerikaner auf Position 14 in der Weltrangliste, sein bisheriges Karrierehoch. Zwar konnte der Sohn armer, aber umso härter arbeitender Einwanderer, die einst vor dem Bürgerkrieg in Sierra Leone geflohen waren, erst ein ATP-Turnier gewinnen, das zudem fünf Jahre zurückliegt. Seither erreichte er vier weitere Finals. Viel entscheidender dürfte jedoch sein, dass sich Tiafoe zu einem echten Big-Match-Player entwickelt.
Eltern wussten es schon immer
Der Durchbruch in die erweiterte Weltspitze war dem spektakulär schlagenden und auftretenden Rechtshänder mit der tiefen Bassstimme und dem unverkennbaren Zehenspitzengang mit seinem Viertelfinaleinzug bei den Australian Open 2019 gelungen. Danach fiel er allerdings ein wenig in Lethargie zurück. „Die simple Botschaft lautet, jeden einzelnen Tag verdammt hart zu arbeiten", weiß Tiafoe nur allzu gut, der bis zu seinem nächsten Endspiel knapp drei Jahre später in Wien nur ein einziges Mal ein ATP-Viertelfinale überstanden hatte.
Die Phase der laschen Einstellung überwand der Showman, indem er den größten Stars der US-Basketballliga NBA bei ihren Interviews genau zuhörte.
Überzeugender Saisonbeginn
Und der Stern des Frances Tiafoe erfüllt offenbar alle Voraussetzungen, weiter zu steigen. Zwar war zuletzt beim ATP1000 in Miami schon in der zweiten Runde Endstation, davor war er aber beim ersten Masters-Turnier der Saison in Indian Wells bis in die Vorschlussrunde vorgestoßen, in der er sich in zwei engen Sätzen Hardcourt-Koryphäe Daniil Medvedev beugen musste.
Zu Saisonstart im Januar war der Mann aus Maryland zur Schlüsselfigur beim US-Triumphs des erstmals ausgetragenen United Cups avanciert. Schon im September letzten Jahres hatte er bei den US Open beinahe den Titelrun von Carlos Alcaraz in einem packenden Fünfsatz-Thriller gestoppt. Mit seinem schier unersättlichen Hunger für große Augenblicke, in denen er richtig aufgeht, empfiehlt sich Tiafoe nach und nach für die Aufnahme in die absolute Elite.
Mit großem Willen zu einer fairen Chance
John Wilkerson, der einst Zina Garrison und Lori McNeil auf öffentlichen Tennisplätzen in den Arbeitervierteln von Houston zum Aufstieg verholfen hatte, kennt die Gefahren des Geschäfts, die sich vor allem afroamerikanischen Talenten stellen, von denen es in den Siebzigern und Achtzigern noch weit weniger gab als heute.
Klar formuliertes Karriereziel
Frances Tiafoe scheint, seine Chance genutzt zu haben, auch wenn er sich im Frühjahr auf dem eher unliebsamen europäischen Sand behaupten muss. Doch Druck aus dem Weg zu gehen oder sich hinter früheren Leistungen zu verstecken, passt nicht zu seinem Charakter. Das Karriereziel ist sehr klar formuliert: „Ein Grand Slam", sagt der mit der für Amerikaner so typisch aggressiven Spielanlage ausgestattete Powerhitter.
„Wenn ich eines Tages mit dem Tennis aufhöre und dann behaupten kann, dass ich einen Slam gewonnen habe, werde ich jede Nacht gut schlafen", so das Selbstbewusstsein in Person. „Niemand kann mir irgendetwas erzählen." Bis auf Mama und Papa. Sie haben um keinen Deut weniger recht als LeBron und Steph.