Hybris - Verbündete oder Feindin des Djokers?
Das brutale Ende seiner olympischen Träume, das Novak Djoković ohne Medaillen aus Tokio abreisen ließ, stellt ein dickes Fragezeichen hinter seiner Jagd nach dem Grand Slam. Inwieweit ist der Weltranglistenerste physisch und mental für den finalen Schritt bei den US Open gerüstet?
Giga-Event Olympia unterschätzt?
Djoković kam mit riesigen Ambitionen zu den Olympischen Spielen nach Tokio, doch dürfte der aktuell und vielleicht überhaupt weltbeste Tennisspieler ob der vielen prominenten Absagen den eigentlichen Schwierigkeitsgrad dieser Mammutaufgabe auf der größten Bühne des Sports unter-schätzt haben.
Überbordendes Selbstvertrauen
Das fehlende Bewusstsein deutet wohl auf Zeichen von Hybris hin. Beim mittlerweile 34-jährigen Champion stellt die Hybris - im Duden als Hochmut, Vermessenheit, Überheblichkeit definiert - ein wiederkehrendes Symptom dar, das in seiner so einzigartigen Karriere unterschiedlichste Konsequenzen zu Folge hatten.
In jüngerer Vergangenheit kommt da die wenig durchdachte, unter den Teilnehmern zahlreiche Covid-Erkrankungen hervorgebrachte Adria Tour zu Beginn der Coronavirus-Pandemie in Erinnerung. Oder die Gründung einer eigenen Spielergewerkschaft, die weder mit den männlichen Topleuten, noch mit der Spitzenakteurinnen der WTA-Tour akkordiert war.
Auf der anderen Seite dieser charakterlichen Ausprägung gebührt Djoković höchste Bewunderung, wie er sich als drittes Rad des mitreißenden Duells zwischen Roger Federer und Rafael Nadal eingefügt und inzwischen die Kontrolle im ewigen Wettstreit um den erfolgreichsten Grand-Slam-Spieler aller Zeiten bei den Männern übernommen hat.
Mixed-Nennung Anfang vom Ende
Hybris scheint also die größte Verbündete und gleichzeitig größte Widersacherin von Novak Djoković zu sein. Auch der epochale Fall des 85-fachen Turniersiegers in Tokio kann teilweise, oder gar großteils auf ein Übermaß an Stolz und Selbstbewusstsein zurückgeführt werden. Nur so ist seine Entscheidung zu erklären, während des laufenden Turniers auch noch für den olympischen Mixed-Bewerb mit Nina Stojanović zu nennen.
Zu jenem Zeitpunkt stand längst fest, dass die zeitlich stark komprimierte und unter brutaler Hitze ausgetragene Veranstaltung einem Himmelfahrtskommando gleichkommen würde. Doch statt ganz auf das Einzel zu fokussieren, wurde Djoković entweder von einem womöglich durch die olympischen Ringe verursachten Patriotismus oder der schlichten Gier ergriffen, zwei Goldene in Fernost zu erringen.
Der topgesetzte Tennis-Olympier dürfte sich dabei allerdings gewaltig verkalkuliert haben. Das Mixed-Event stellt just im Zeichen der Ringe alles andere als eine spaßige Sideshow dar. Wenn es um Medaillen und höchste sportliche Würden geht, orten vor allem erfahrene Doppelveteranen und ausgezeichnete Einzelspieler, die früh in ihren Hauptbewerben ausscheiden, ihre Chance auf ein Podium.
Zu viele Matches unter extremen Bedingungen
Folgerichtig musste sich Djoković in nur vier Tagen durch insgesamt 16 Sätze in sieben Matches unter extremen äußerlichen Bedingungen quälen. Er strauchelte und fiel letztlich, mit drei Niederlagen in zwei Tagen - die letzte erlitt er keine 24 Stunden nach der spektakulären Wende vom späteren Olympiasieger Alexander Zverev im Herren-Semifinale.
„Ich entschuldige mich bei Nina, aber mein Körper ist komplett leer", sagte Djoković nach dem Rückzug vom Bronze-Match im Mixed-Doppel. Unmittelbar zuvor hatte er das kleine Finale im Einzel gegen Pablo Carreño Busta verloren.
– ergänzte der Belgrader.
Hart erarbeiteter Respekt
Djoković wird in seinen schier zwanghaften Bemühungen, sein gesamtes Umfeld kontrollieren zu wollen, stets von Drama begleitet.
In diesem unermüdlichen Bestreben, sportlich an Roger Federer und Rafael Nadal vorbeizuziehen, musste er sich den Respekt der Öffentlichkeit freilich härter erkämpfen als seine beiden Dauerrivalen.
Aktuell halten alle drei Männer bei 20 Grand-Slam-Titeln, doch 2021 hat sich zu jenem Jahr entwickelt, in dem der Jüngste der Big Three seine uneingeschränkte Dominanz zu untermauern vermochte. Als Gewinner der ersten drei Majors der Saison reiste Djoković auch mit einem klaren Plan nach Tokio.
An mentalen Aussetzern tüfteln
Den ersten Grand Slam in einem Kalenderjahr auf Herrenseite nach Rod Laver vor über einem halben Jahrhundert zu vollenden, bleibt weiterhin ein realisierbares Ziel. Das Scheitern bei Olympia wirft jedoch Fragen auf.
Wie wird ihn der vergebene Golden Slam sowohl psychisch als auch physisch beeinträchtigen, nachdem er bloß Schmerzen und schmerzvolle Erinnerungen statt Medaillen aus Tokio mitbringt?
Ein Indiz für seine angeknackste Psyche gab schon das Halbfinale in Tokio gegen Sascha Zverev. Nach klar gewonnenem ersten Satz und Break Führung im zweiten Durchgang war Djoković immer mehr mit sich selbst beschäftigt und holte in Folge nur mehr ein einziges Spiel. Im Match um Bronze gegen Pablo Carreño Busta ließ er wiederum deutlich erkennen, dass ihm nach der vergebenen Gold-Mission jede andere Medaille nicht mehr allzu viel bedeute.
Im Anschluss an die Niederlage gegen die spanische Gummiwand meinte der Weltranglistenerste, er hoffe, dass die in Tokio erfahrene Bestrafung kein Problem in Hinblick auf New York mit sich bringe. „Ganz sicher bin ich mir aber nicht."