Iga Swiatek: Eine würdige Nummer eins
Der dritte aufeinanderfolgende Titelgewinn bei einem WTA-1000-Turnier katapultierte Iga Swiatek wohl zurecht der an die kurzfristig vakante Spitze der Weltrangliste. Die aktuelle Dominanz der 20-jährigen Polin könnte endlich für eine klare Hierarchie im lange Zeit so unberechenbaren Damentennis sorgen. Oder doch nicht? Denn mit der ihr so wohlgesonnenen Naomi Osaka scheint eine ebenso dauerhafte wie denkwürdige Rivalität aufzukeimen.
Schneller Sprung an die Spitze
Eher unverhofft hatte der Titelgewinn in Indian Wells Iga Swiatek Mitte März auf Platz zwei in der Weltrangliste gespült. Und die 20-Jährige, die von Position neun aus in die Saison gestartet war, artikulierte daraufhin gleich ihr nächstes Karriereziel: Ashleigh Barty als Nummer eins der Welt abzulösen.Wenige Tage später änderte sich das Drehbuch auf eine nahezu bizarre Art. Der Australian-Open-Champion beendete völlig überraschend seine aktive Laufbahn (Tenniswetten.de berichtete), Swiatek steht seit diesem Montag plötzlich als erste Polin an der Spitze des WTA-Rankings.
Statistik belegt Anspruch
Dass die Rechtsauslegerin den Platz an der Sonne zurecht einnimmt, beweist eine bemerkenswerte Serie. Mit dem Finalsieg über Naomi Osaka komplettierte sie in Miami als vierte Spielerin nach Steffi Graf (1994, 1996), Kim Clijsters (2005) und Victoria Azarenka (2016) das aus den Titeln der beiden US-Frühjahrsklassiker bestehende Sunshine Double.
Damit nicht genug, hat Świątek ihre letzten 20 gespielten Sätze für sich entschieden, die jüngsten 15, ohne in ein Tiebreak gezwungen zu werden. Von bislang sieben bestrittenen WTA-Finals gewann sie mit Ausnahme des ersten alle, und zwar jeweils ohne Satzverlust.
History in the making
Viel spricht also dafür, dass sich die insgesamt neunte Nummer eins der letzten fünf Jahre am seit dem Ende der Williams-Ära so unberechenbaren Damen-Circuit langfristig an der Spitze halten kann - wenn ihr nicht just Osaka in die Suppe spuckt.
„Ich möchte die Spielerin sein, die konstant bleibt", stellte Swiatek in einer ihrer oft berührenden BBC-Kolumnen klar, nicht so bald vom Gipfel steigen zu wollen. Doch so sehr sie den Miami- Showdown im Hard Rock Stadium am Samstag dominierte, lieferten sich die Finalistinnen auch reichlich fesselnde Rallyes, die darauf hindeuten, dass gerade eine denkwürdige Rivalität im Entstehen begriffen ist.
Gegenseitig ans Limit pushen
„Rivalitäten halten den Sport in Bewegung", blickt Ōsaka, die im bis zum Miami-Finale einzigen Vergleich 2019 gesiegt hatte, vorfreudig in die Zukunft. „Die Leute wollen einfach solche Duelle in verschiedenen Ländern auf unterschiedlichen Belägen sehen. In variierenden Höhenlagen und veränderten Bedingungen zu spielen, zählt für mich zu den spannendsten Aspekten im Tennis."
– Naomi Osaka freut sich auf weitere spannende Begegnungen mit Swiatek.
Auch die French-Open-Siegerin 2020 scheint einem dauerhaften sportlichen Schlagabtausch mit der vierfachen Major-Siegerin einiges abgewinnen zu können. „Wenn ich von einer Rivalität zwischen uns spreche, meine ich es nur im positiven Sinne. Indem wir gegeneinander antreten, pushen wir uns gegenseitig, immer besser und besser zu werden."
Freundschaftlich verbunden
Wie man aus ihren Worten heraushören kann, verbindet die neue und die ehemalige Nummer eins mehr als nur gegenseitiger Respekt. Sie scheinen sich tatsächlich zu mögen und scheuen auch nicht davor, es öffentlich kundzutun.
Osaka sagt den Kampf an
Selbst rückt die 24-Jährige nach ihrem ersten Finale seit über einem Jahr im WTA-Computer von Rang 77 auf Platz 35 vor und sprach trotz Niederlage von einem tollen Tag. „Normalerweise würde ich jetzt wahrscheinlich in der Umkleidekabine sitzen und weinen. Ich habe aber das Gefühl, genau zu wissen, woran ich arbeiten muss und will es beim nächsten Turnier besser machen."
Wohin die Reise gehen soll, scheint Osaka aber noch nicht ganz fertig gedacht haben. „Nächstes Jahr, oder vielleicht schon Ende dieses Jahres, möchte ich wieder in den Top 10 sein. Und irgendwann einmal nächstes Jahr die Nummer eins. Oh, ein großes Statement! Vielleicht annähernd. Sagen wir Top 5. Wisst ihr was? Ich setze mir ein klares Ziel: Top 1. Ja, Nummer eins."
– So ganz überzeugt scheint Naomi Osaka von ihrer Kampfansage noch nicht zu sein.
Mentale Gesundheit als Dauerthema
Die letzten drei Weltranglistenführenden haben allesamt ihre Spuren bei den diesjährigen Miami Open hinterlassen: Ash Barty mit ihrer völlig überraschenden Rücktrittsankündigung, Naomi Osaka mit der Wiedererlangung alter Stärken. Und selbstverständlich Turniersiegerin Iga Swiatek, die 26 ihrer 29 Matches in diesem Jahr gewinnen konnte und vor der Rückkehr auf ihren Lieblingsbelag in der europäischen Sandplatzsaison eine kurze Pause einlegt.
Barty hatte sich bereits 2014 eine fast zweijährige Auszeit von der WTA-Tour verschrieben, nahm zu Beginn der Pandemie eine weitere elfmonatige Pause und drückte nun, mit 25 Jahren, endgültig auf den Stopp-Knopf. Am vergangenen Wochenende gewann sie übrigens das Golfturnier im heimatlichen Brookwater Country Club und streifte ein Preisgeld von 30 australischen Dollar ein. Ōsaka erzählte indessen in Miami, dass sie aufgrund ihrer im Vorjahr medial so ausgeschlachteten, gesundheitlichen Anliegen psychologische Hilfe in Anspruch genommen hat.
Umdenken in der WTA?
Und auch Świątek redet regelmäßig über ihre bereits zwei Jahre anhaltende Arbeit mit der Sportpsychologin Daria Abramowicz, die erkannt hat, dass ihre Landsfrau für einen gesunden Geist einen extrem fitten Körper benötigt. Die Extraschichten zeigen bereits Wirkung. „Ich muss mich nicht immer hundertprozentig bei den Punkten fühlen, um gegen große Spielerinnen zu gewinnen. Jetzt kann ich auch ein bisschen mehr auf mich vertrauen."Im letzten Monat schloss die WTA zwei neue Sponsorverträge ab. Einerseits mit Hologic, einem auf die Gesundheit von Frauen ausgerichtetes Unternehmen, und zum anderen mit Modern Health, eine Plattform für seelisches Wohlbefinden. Wagt sich der Tennissport durch eine offene Selbstüberwachung gar auf neues Terrain?