Milliarden-Marke Federer - das wahre Vermächtnis der Sportikone
Wer nun der größte Spieler in der Geschichte des Tennissports ist, wird unter Profis, Experten und Fans ungebrochen heftig debattiert. Doch ungeachtet seiner bemerkenswerten Errungenschaften auf dem Court, vermochte zweifellos kein Superstar internationale Geldgeber mehr anzuziehen als Roger Federer. Trotz schwieriger Ausgangslage bietet der Schweizer das perfekte Package.
Sportliche Genialität und geschäftliche Instinkt
Im vergangenen Herbst teilte Roger Federer der Öffentlichkeit mit, dass er nach dem dritten operativen Eingriff an seinem rechten Knie nicht nur das erste Grand-Slam-Turnier des Jahres in Australien verpassen würde, sondern womöglich sogar das Sommer-Highlight in Wimbledon, wenn er überhaupt noch einmal auf die Tour zurückkehren könne.
Für Gourmets des gepflegten Filzballsports gilt der Tennisästhet als bester Spieler aller Zeiten. Doch blickt man auf die Errungenschaften von Novak Djoković und Rafael Nadal, stellt sich die Frage, ob er überhaupt der beste Spieler seiner Generation ist.
Allerdings hat erwiesenermaßen kein anderer Superstar noch während seiner Laufbahn ein nur annähernd vergleichbares finanzielles Imperium aufgebaut. Bei all seiner sportlichen Genialität und Grazie könnte sich das geschäftliche Talent Federers als sein nachhaltigstes Vermächtnis in Erinnerung bleiben. Die makellosen strategischen Instinkte und seine unverwechselbare Persönlichkeit, die eher in einen Sitzungssaal als in eine sportliche Arena zu passen scheinen, stellt den 40-Jährigen als größten Business-Mogul dar, den die Tenniswelt vermutlich je sehen wird.
Erst sechster Sportmilliardär
Seine Performances auf diesen Gebieten lesen sich ähnlich spektakulär wie jene am Tennisplatz. Vielleicht sind sie sogar höher einzustufen, wenn man den Startnachteil Federers berücksichtigt. Der 103-malige Turniergewinner stammt nicht aus einem der großen Märkte wie den USA, Großbritannien oder Frankreich, in denen es für Tennisspieler tendenziell einfacher ist, finanzkräftige Unterstützer zu finden. Die Schweiz mag zwar ein reiches Land sein, aber mit nur 8,5 Millionen Einwohnern auch ein sehr kleines. Diesen mangelnden Reiz für potenzielle Geldgeber bekam Federer vor allem am Anfang seiner imposanten Laufbahn entsprechend zu spüren.
Agent springt vor Nike-Deal ab
Schon gegen Ende 2002 war für die Szene-Beobachter längst klar, dass der damals 21-jährige Rohdiamant zu einem absoluten Spitzenspieler heranwachsen würde. Als Nummer 13 der Welt klopfte er mit Vehemenz an die Top 10. Im Jahr davor hatte er sensationell Pete Sampras in Wimbledon eliminiert, seinen allerersten Grand-Slam-Triumph an Londons heiligem Rasen sollte in der folgenden Spielzeit feiern.Zu jenem Zeitpunkt war allerdings nicht zu erahnen, zu welch milliardenschweren Entrepreneur er sich entwickeln sollte. Im Gegenteil, bei den US Open 2002 erfuhr Federer von seinem Agenten Bill Ryan, dass dieser den Vermarktungsriesen IMG verlassen würde. Das Timing hätte nicht schlechter sein können, musste der auslaufende Vertrag des Rechtshänders mit Ausrüster Nike, der ihm rund 100.000 Dollar im Jahr einbrachte, verlängert werden.
Obwohl Vater Robert lange darauf gedrängt hatte, das Angebot des Sportartikelherstellers von 600.000 Dollar per annum anzunehmen, war Ryan auf der Bremse gestanden. „Robbie, dein Sohn wird der größte Tennisspieler, der jemals einen Fuß auf die Erde gesetzt hat", hatte der fest an das Potenzial seines Schützlings glaubende Agent Federer senior erklärt, bevor sich IMG von ihm trennte. „Warum sollte ich diesem Deal zustimmen?"
– Mit dieser Begründung lehnte Bill Ryan im Jahr 2003 einen 600.000 Dollar-Jahresvertrag mit Nike ab.
Erster Versuch der Selbstständigkeit
Ohne von nun an auf Ryans Verhandlungsgeschick zählen zu können, beriet sich Roger mit Ehefrau Mirka und seinen Eltern und kam zu einem bemerkenswerten Entschluss: Auch er würde IMG den Rücken kehren und mit seiner Familie ein eigenes Management-Team auf die Beine stellen. Der ganz große finanzielle Erfolg sollte sich jedoch nicht einstellen. 2003 unterschrieb Federer letztlich eine neuen, langjährigen Kontrakt bei Nike, der ihm dem Vernehmen nach zwei Millionen Dollar pro Saison sicherte. Ken Meyerson war fassungslos. „Wer auch immer den Vertrag verhandelt hat, erweist der gesamten Branche einen Bärendienst", tobte der inzwischen verstorbene Manager von Andy Roddick. „Mit seinem Talent ist Roger mindestens zehn Mille wert."
– Ken Meyerson warf Federer vor, die Verhandlungsposition anderer Athleten zu schwächen.
Tatsächlich schätzte das Wirtschaftsmagazin Forbes die Einnahmen von Roger Federer im Jahr 2005 auf 14 Millionen. Damit lag der Tennisprofi, der in der vorangegangenen Saison drei von vier Grand-Slam-Titel geholt hatte, weit hinter Andre Agassi mit 28 Millionen. Selbst der Verdienst von Maria Scharapowa, die 2004 als 17-Jährige in Wimbledon triumphiert hatte, wurde mit 19 Millionen höher eingestuft als der Weltranglistenerste bei den Herren. Damals erklärte Federer, er genieße seine Unabhängigkeit und wolle nicht zu viele Verpflichtungen eingehen, die große Sponsorverträge zwangsläufig mit sich bringen würden.
Die Entdeckung Amerikas
Doch im August desselben Jahres sollten die Geschäfte des neuen Königs des weißen Sports einen gewaltigen Boost erhalten. Über Monica Seles lernte er Tony Godsick kennen, den IMG-Agenten der neunfachen Grand-Slam-Siegerin. Schnell ließ sich die Familie überzeugen, wieder zum weltweit führenden Sportmarketing-Unternehmen zurückzukehren. Laut Forbes schossen Federers Einnahmen bis 2015 auf 43 Millionen Dollar jährlich in die Höhe. Zu seinen Sponsoren zählte nicht nur die schwäbische Premium-Automarke Mercedes-Benz, sondern auch die stark international orientierten Schweizer Firmen Rolex und Lindt.
Schon 2008 war der Nike-Vertrag um weitere zehn Jahre für kolportierte zehn Millionen Dollar per annum verlängert worden, ein neues Rekordgeschäft im Tennissegment. Diesmal gab es auch keine Beschwerden von Branchenkennern, dass sich Federer unter Wert verkaufen und den Marktpreis ruinieren würde. Weiters setzte Godsick alles daran, seinen prominenten Klienten für das amerikanische Mainstream-Publikum attraktiv zu machen. Eine doppelt schwere Mission, stehen in den USA die heimischen Sportstars doch über den europäischen, zudem genießen die großen nordamerikanischen Profiligen einen weit höheren Stellenwert als Einzelsportarten.
Woods-Freundschaft als Business-Booster
Einige von Godsick eingegangene Sponsorvereinbarungen sahen sogar explizit Werbeoffensiven in den Vereinigten Staaten vor. So mag es auch kein Zufall gewesen sein, dass Federer just zu der Zeit einen sozialen Umgang mit Tiger Woods zu pflegen begann. Beide Ikonen wurden von IMG repräsentiert und von Nike gesponsert. Godsick und Woods-Agent Mark Steinberg hatten 2006 während er US Open in New York ein Treffen arrangiert. Und die gegenseitige Bewunderung machte allgemein einen authentischen Eindruck. Wenige Wochen zuvor hatte sich Woods bei seinem British-Open-Triumph als großer Federer-Fan geoutet, der Tennisprofi danach in New York mehrfach erklärt, wie er von den Leistungen des Golftitanen inspiriert werde.
Godsick trachtete mehr denn je danach, Federers gesamten kommerzielles Potenzial auszureizen. So passte es vom Timing her bestens ins Konzept, dass der Rasierklingen-Hersteller Gillette auf der Suche nach einem Nachfolger für Fußballer David Beckham als Markenbotschafter war. Mit Woods hatte man sich bereits geeinigt und eine zusätzliche Verbindung zum Golfidol konnte definitiv nicht schaden.
Astreines Image als Sponsorenversicherung
Im US-Open-Finale 2006 gegen Andy Roddick saß Woods plötzlich in Federers Spielerbox zwischen Mirka und seiner Ehefrau Elin Nordegren. „Den Gillette-Deal unter Dach und Fach bekommen zu haben, lag kein Masterplan zugrunde", verrät Godsick. „Tiger und Roger wollten sich einfach treffen. Und terminlich ging das nur bei den US Open." Die Optik, mit Tiger Woods gesehen zu werden, der am Höhepunkt seiner Karriere stand, war jedenfalls hilfreich. Im Februar 2007 verkündete Gillette Roger Federer als neuen Markenbotschafter neben Woods und dem französischen Fußballer Thierry Henry.
Der Vertrag mit dem Bostoner Konzern sollte für den Schweizer länger laufen als für den Amerikaner, dessen sechsjährige Ehe 2009 in die Brüche ging, nachdem eine ganze Reihe seiner Seitensprünge und Affären bekannt wurden. In Fachkreise glaubt man gar, dass Federer finanziell vom Image-Schaden des Tigers profitiert habe.
„Roger hat einige Grand-Slam-Siege benötigt, um seinen Marktwert in die Höhe zu treiben", meinte etwa IMG-Vizepräsident und Scharapowa-Manager Max Eisenbud. „Ich habe aber noch nie ein so vollständiges Gesamtpaket gesehen wie ihn. Als die Kontroversen um Tiger begannen, hatten die Firmen große Bedenken bezüglich Markenassoziationen. Und genau da ging Roger ab wie eine Rakete, weil sein Image so astrein war, wie es nur sein kann."
– IMG-Vizepräsident Max Eisenbud über das Vermarktungskapital von Roger Federer.
Mega-Vertrag mit Uniqlo
Gestärkt durch eine Exhibition-Tour in Südamerika und einen Vertrag mit der edlen Champagner-Kellerei Moët & Chandon, erhöhten sich die Jahreseinnahmen 2013 auf geschätzte 71,5 Millionen Dollar, wodurch sich Federer im prestigeträchtigen Athleten-Ranking von Forbes auf Platz zwei hinter Woods und vor Basketballer Kobe Bryant einreihte. Dass Tom Godsick gleichzeitig bei IMG kündigte und mit Federer die Management-Agentur Team8 gründete, dürfte wohl nicht die schlechteste Entscheidung gewesen sein. Denn der geradezu schwindelerregende finanzielle Höhenflug stand erst bevor.
Unmittelbar nach seinem letzten Major-Triumph in Melbourne 2018 verzeichnete der Vater zweier Zwillingspaare seinen bisher größten Business-Coup. Er ging einen zehnjährigen Deal mit dem japanischen Bekleidungsgiganten Uniqlo ein, der ihm selbst bei einem Rücktritt vom aktiven Sport 30 Millionen Dollar im Jahr garantiert.
Die Summe ist um ein Vielfaches höher als Nike bereit gewesen wäre, für einen alternden Superstar zu zahlen, unabhängig von dessen Strahlkraft. Und letztlich bildet Tennis nur eine kleine Abteilung des globalen Unternehmens mit einem jährlichen Umsatz von 45 Milliarden Dollar. Davon macht Tennis etwa 0,8 Prozent aus. Nikes goldene Regel lautet, nicht mehr als zehn Prozent des Umsatzes an Sponsorverträgen auszugeben. Mit Serena Williams, Rafael Nadal und Maria Scharapowa, die damals noch nicht zurückgetreten war, hatte man bereits hochdotierte Arbeitsübereinkünfte, nebenbei werden die Hoffnungsträger Nick Kyrgios, Denis Shapovalov und Amanda Anisimova gefördert.
I am thankful that Credit Suisse is supporting the @rogerfedererfdn.The collaboration has helped numerous vulnerable children secure a stronger #education and a better start in life. https://t.co/mYt24juv0b
- Roger Federer (@rogerfederer) December 9, 2021
Im Rahmen seiner eigenen Stiftung engagiert sich Roger Federer auch sozial.
Die Leichtigkeit des Seins
Ohne begleitenden sportlichen Erfolg wäre aber auch ein Roger Federer nicht in diese Sphären aufgestiegen. Das Geheimnis, wie er sich bis ins hohe Tennisalter von 40 Jahren in den Top 10 halten konnte, liegt vermutlich auch in seiner außergewöhnlichen Fähigkeit, einen entspannten Zugang zu Strapazen abseits des Tennisplatzes zu finden. Dies betrifft Langstreckenflüge genauso, wie Pressekonferenzen in drei verschiedenen Sprachen oder profane Gespräche mit Geschäftspartnern.
Insbesondere der letztgenannte Punkt erfordert ein natürliches Talent. Schon zu Beginn seiner Karriere bemühte sich Federer bei seinem Heimturnier in Basel stets, alle 20 Sponsoren-Boxen zu einem Meet & Greet zu besuchen - eine Philosophie, der er sich bis heute treu geblieben ist.
„Er gibt dir immer das Gefühl, sich für dich zu interessieren und alle Zeit der Welt zu haben, unverbindlich zu plaudern", berichtet Eisenbud. „Diese Gabe habe ich bei keinem anderen Spitzensportler je gesehen." Auch Andy Roddick gesteht, seinen ehemaligen Kontrahenten weniger um dessen Titelsammlung als um diese völlige Unbeschwertheit im Umgang mit Menschen zu beneiden.
– Eisenbud über Federers nahbaren Umgang mit Sponsoren.
Auch unterwegs ein Familienmensch
Um geschmeidig zwischen den privaten und öffentlichen Welten zu navigieren, erhält der 20-fache Grand-Slam-Champion absolute Rückendeckung von seiner Ehefrau, die er gerne als seinen Felsen bezeichnet. Und die Organisation seines Familienlebens stellt eine Mammutaufgabe dar, wechselnde Kindermädchen und reisende Privatlehrer können nur einen Teil davon abfedern. Doch Mirka versucht, der Familie auch auf Achse ein heimisches Umfeld zu schaffen, um ihrem Mann die innere Ruhe für die Ausübung seines Berufes zu gewähren. „Ich war mir anfangs nicht sicher, ob ich den Kindern dieses Leben zumuten wollte", gesteht Federer. „Aber auf diese Art bleiben wir wenigstens immer zusammen."
Sportlich musste der Maestro, der sich mit dem Herzensprojekt Laver Cup ein weiteres lukratives Standbein schuf, durch das er auch über seine aktive Laubahn hinaus mit dem Tennissport verbunden bleiben kann, in diesem Jahre aufgrund anhaltender Kniebeschwerden leiser treten.
Aber: „Ich fühle einfach, dass die Geschichte noch nicht zu Ende ist", ließ Federer seine 8,8 Millionen Follower in einem Instagram-Video wissen. Nötig hat er ein Comeback bestimmt nicht. Doch trotz des gewaltigen Imperiums, das er für sich und nachfolgende Generationen seiner Familie aufgebaut hat, bleibt er durch und durch Sportler. „Ich will nicht nur wieder gesund werden, sondern auch wieder in Form kommen und gegen die besten Spieler bei den größten Turnieren antreten. Und hoffentlich gewinnen."
– Gute Nachricht für Fans: Federer möchte auf den Court zurückkehren.