Next Gen ATP Finals: Ein gereiftes Konzept
Dass sich das alljährliche, pompös aufgezogene U21-Finalturnier der ATP nach der anfänglichen Skepsis bewährt hat, unterstreichen nicht nur die imposanten Werdegänge von Medvedev, Alcaraz, Tsitsipas und Co. Auch einige erstmals in Mailand getestete Innovationen sind längst fixer Bestandteil der regulären Herren-Tour.
Viel Stirnrunzeln zum Projektstart
Als die Next Gen ATP Finals 2017 ihre Premiere feierten, löste das Event vorwiegend Bedenken aus. Nur wenige glaubten an einen Erfolg dieser neuen, groß initiierten Kampagne zur Entdeckung und Förderung der Erben der Big Four, die ihrerseits schon langsam in die Jahre gekommen waren.
Sechs Spielzeiten später hat von den erwähnten Ikonen einzig Roger Federer die Tennisschläger ins Eck gestellt, seine drei Dauerrivalen Novak Djokovic, Rafael Nadal und Andy Murray wollen es nach wie vor wissen. Ernstzunehmende Thronfolger sind jedoch weit und breit nicht in Sicht, die Latte scheint einfach zu hoch zu liegen.
Zwei Grand-Slam-Sieger unter Absolventen
Zwar fehlt weiterhin ein frisches Gesicht, das den Sport auf ähnliche Weise dominieren könnte, fortlaufende Wellen von Absolventen dieses Projekts setzen sich aber regelmäßig im Kreis der absoluten Tenniselite fest. Das Label eines Next Gen dürfen sich übrigens Spieler bis 21 Jahre anheften lassen, die Top 8 dieser Gruppe tragen am Saisonende ein eigens Turnier aus. Längst zählt die Bezeichnung „Next Gen" zum gängigen Tennisvokabular.
Zu den ehemaligen Teilnehmern dieses prestigeträchtigen Events gehören Daniil Medvedev und Carlos Alcaraz, die neben Juan Martin del Potro, Stan Wawrinka, Marin Cilic und Dominic Thiem die einzigen Profis sind, die seit Mitte 2005 ein Grand-Slam-Turnier gewinnen konnten und nicht den Namen Federer, Djokovic, Nadal oder Murray tragen.
Schnupperkurs für große Tour
Auch der zweimalige Major-Finalist Stefanos Tsitsipas, Tokio-Olympiasieger Alexander Zverev und der einstige Weltranglistenzweite Casper Ruud traten in der Vergangenheit beim alljährlichen Talentemessen in Mailand an. Masters-Champions gibt es sogar in Hülle und Fülle, wie etwa Taylor Fritz, Titelverteidiger beim anstehenden ATP1000 in Indian Wells. Elf frühere Starter der Next Gen Finals standen danach in den Top 10 des ATP-Rankings. 15 erreichten die Top 20 und 23 die Top 50.
„Bei dieser Veranstaltung habe ich endlich mein Spiel gefunden", behauptet sogar Jiri Lehecka, der in diesem Jahr bei den Australian Open ins Viertelfinale vorgestoßen war.
– Jiri Lehecka
Die Medienpräsenz in Mailand habe dem Tschechen die Tür zur Elite aufgestoßen. „Uns wurde aufgezeigt, wie das Leben eines Profis auf der Tour aussehen kann."
Sprungbrett in die Elite
Ähnliche Erkenntnisse gewann Brandon Nakashima, der bei der jüngsten Auflage im vergangenen November Lehecka im Endspiel bezwingen konnte.
– Brandon Nakashima
In die Fußstapfen so vieler, mittlerweile bekannter Namen zu treten, gebe den Next Gen Finals den Stellenwert eines wichtigen Sprungbrettes für die jungen Spieler, die sich auf der regulären ATP-Tour etablieren möchten, so der Amerikaner. „Man ist danach einfach besser vorbereitet."
Versuchslabor mit Nachhaltigkeit
Stefanos Tsitsipas weiß den Karriere-Booster, den dieses Programm der Spielervereinigung verleihen kann, ebenfalls zu schätzen. Zwar möge die Nummer drei der Welt, die im Januar den Lauf von Lehecka in Melbourne stoppte, das Etikett „Next Gen" nicht besonders, gleichzeitig räumt der Grieche aber ein, dass die Next Gen eine Hilfe zur Selbstvermarktung darstellt, auf die der Großteil der Veteranen am Herren-Circuit nicht verweisen konnte.
Freilich hatte es ursprünglich gute Gründe gegeben, die Initiative zu hinterfragen. So sind bei den Next Gen Finals keine Weltranglistenpunkte zu holen, hauptsächlich aufgrund der Alterslimitierung. Das Turnier diente auch immer wieder als Versuchslabor, u.a. mit einem minimalistischen Zählsystem, dem Electronic Line-Calling und anderen ungewöhnlichen und teilweise umstrittenen Innovationen. Einige dieser Neueinführungen fanden letztlich allerdings auch ihren Weg auf die große Tour.
Fehlende Vorteilsregel erhöht Druck
Kritiker beanstanden u.a. die fehlende Vorteilsregel in den Spielen oder Tiebreaks bei 4:4. Doch letztlich werden Ergebnisse nicht durch Formate, sondern von Spielern entschieden. „Die Geschichte des Events spricht für sich", sagt Dean Goldfine, Coach des 20-jährigen Ben Shelton, der nach seinem sensationellen Run ins Australian-Open-Viertelfinale einen Fixplatz bei den Next Gen Finals 2023 fast schon garantiert hat.
„Ehemalige Teilnehmer wie Alcaraz, Tsitsipas oder Sinner haben sich auch auf der ATP-Tour durchgesetzt", so Goldfine weiter.
– Dean Goldfine
Nach der Next Gen direkt ins Haifischbecken
Die Aufmerksamkeit, die dem Event zuteil wird, gibt den jungen Talenten einen Vorgeschmack auf die Intensität, den Stress und die Aufregung, die große Bewerbe verursachen. „Mir hat Mailand definitiv einen Schub gegeben", ist Nakashima überzeugt. „Bei einem Format ohne Vorteilsregel musst du ständig wichtige Ballwechsel spielen und von den Zuschauern kommt viel positive Energie. Du bist dann gut auf das vorbereitet, was danach kommt."
Weil er zu den ersten Teilnehmern des Turniers zählte und wegen der anhaltenden Präsenz von drei der Big Four wird Tsitsipas zeitweise heute noch den Next Gen zugeordnet, spürt seinerseits aber längst die nächsten Jahrgänge im Nacken.
– Stefanos Tsitsipas