Analyse: WTA muss Farbe bekennen

tobi-redaktionTobi
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Während das Internationale Olympische Komitee vor den Sommerspielen in Paris nach einem Leitfaden in der Russland-Frage sucht, ignoriert der Tennissport weitgehend die Konsequenzen des Überfalls auf die Ukraine. Insbesondere die WTA gaukelt Normalität vor. Doch nach den jüngsten Einreiseverboten für Spielerinnen aus den Aggressor-Staaten wird sich die Damentour ihre unklare Haltung wohl nicht mehr lange leisten können.

Prag nicht mit Wimbledon vergleichbar

Nachdem Tschechien letzte Woche die Einreise von Spielerinnen aus Russland und Belarus in das Land verweigert hatte, nahm die Profitour zur Sachlage wie folgt Stellung:

Die WTA bekräftigt, dass alle Spielerinnen, die die sportlichen Qualifikationen erfüllen, ohne Diskriminierung zu sämtlichen Turnieren der WTA zugelassen werden müssen. Wir beobachten ständig die laufenden Entwicklungen unter Berücksichtigung der komplexen geopolitischen Lage."

Klar und direkt ausgedrückt, bedeuten die Worte, dass die WTA nicht die geringste Ahnung hat, wie sie mit der Situation umgehen soll. Schließlich unterscheiden sich die Umstände wesentlich von jenen in Wimbledon 2022, als der All England Club eine kleine Gruppe von Spielerinnen und Spielern ausschloss und die beiden Touren ATP und WTA als Konsequenz keine Weltranglistenpunkte für das Turnier vergaben (Tenniswetten.de berichtete). Die Maßnahme veranlasste die Organisatoren des Rasen-Majors, ihre Haltung zu revidieren und in diesem Jahr auch Profis aus Russland und Weißrussland zuzulassen.

Tennisspieler als Repräsentanten ihrer Heimat

Im aktuellen Fall war es allerdings die Regierung eines demokratischen Landes und nicht ein privater Tennisclub, der die Einreise von Sportlerinnen und Sportlern aus den zwei autokratisch gelenkten Nationen verweigerte, von denen die eine - Russland - mit Unterstützung der anderen - Belarus - einen unprovozierten Angriffskrieg gegen ein souveränen Staat führt.

FragezeichenDie Situation in der Ukraine als komplexe geopolitische Lage zu bezeichnen, mutet in Anbetracht des menschlichen Leids durchaus seltsam an. Doch was wollen die ATP und und WTA unternehmen? Turniere in Ländern streichen, die Russen und Weißrussen nicht einreisen lassen? Ganz belanglos scheint die Frage nicht zu sein.

Russland hat die politische Weltordnung seit der Jahrtausendwende stetig destabilisiert, die Beziehungen zu westlichen Demokratien verschlechtern sich fortlaufend. Für Tennisspieler, die de facto hohe Repräsentanten dieser Aggressor-Staaten sind, die Grenzen dicht zu machen, stellt konsequenterweise nur eine weitere westliche Sanktion dar.

Auch Polen machte die Grenzen dicht

Der Gedanke, Leute aus bestimmten Ländern keine Einreise zu gewähren, scheint auf dem ersten Blick weit hergeholt, doch sei gleichzeitig an die Reaktion der internationalen Staatenlenker während der Pandemie erinnert, als fast weltumspannend strikte Reiseverbote für die gesamte Bevölkerung erlassen wurden. Die Fassade der Normalität, an die sich Tennisagenturen auch in diesem Fall klammern, ist nichts weiter als bröckelnder Luxus.

Vor wenigen Wochen wurde die mehrfache russische Grand-Slam-Finalistin Vera Zvonareva, die beim WTA-Turnier in Warschau starten wollte, am Flughafen in Belgrad daran gehindert, in den Flieger in die polnische Hauptstadt zu steigen. Die ursprünglich nicht beim Namen genannte Russin, die zuletzt von tschechischen Grenzbeamten gestoppt wurde, stellte sich als Anastasia Pavlyuchenkova heraus. „Ich werde nicht in der Lage sein, in Prag anzutreten", schrieb die ehemalige French-Open-Finalistin auf Instagram. „Ich setzte jetzt meine Vorbereitungen auf die US-Hardcourt-Serie fort."


Stellungnahme der WTA zur Einreiseproblematik auf Twitter / X.

Business as usual in den USA

Die USTA geht vor der Turnierserie ihrerseits nicht von umfassenden Reisebeschränkungen durch die US-Grenzbehörden aus. Der amerikanische Tennisverband will über diese kurzfristige Möglichkeit auch gar nicht spekulieren. Allerdings dürfen Russinnen und Weißrussen nur als neutrale Athletinnen und Sportler starten.

infoAls Teilnahmebedingung sind jegliche Bekleidungsteile oder Stellungnahmen untersagt, die auf eine Unterstützung der Invasion Russlands und Weißrusslands in die Ukraine hinweisen", heißt es vonseiten der USTA.

Ironischerweise war ausgerechnet Pavlyuchenkova eine der ersten, und noch immer sehr wenigen, Russinnen oder Belarussinnen, die den Krieg offen und geradewegs verurteilten, anstatt bloß inhaltsleere Stehsätze wie „Weltfrieden" von sich zu geben. Auch die Aliaksandra Sasnovich, Russians Diana Shnaider, Polina Kudermetova und Erika Andreeva durften letzte Woche nicht bei den Prague Open aufschlagen.

Andere Sportarten zeigen es vor

Jedenfalls nimmt der Umgang mit Profis aus Russland und Belarus inzischen schwer zu überschauende Ausmaße, während die WTA mit der Situation weiter überfordert ist. Wie im vergangenen Jahr in Wimbledon gesehen, ist Tennis ein von unzähligen Hochleistungsindividuen betriebener Sport, der auch ohne eine bestimmte Gruppe von überaus befähigten Athleten weiterlaufen kann. Vorgezeigt wurde dies von anderen Disziplinen, die betreffende Akteure ausschlossen.

Die ATP und die WTA haben mit Ausbruch des Krieges alle Events in Russland abgesagt. Warum schiebt man nicht die Last auf diese Länder und lässt sie Turniere für ihre eigenen Spieler organisieren? Dieser Standpunkt mag hart klingen, aber nicht so sehr, wie die Not der ukrainischen Protagonisten zu missachten, die von ihrer Heimat abgeschnittenen sind und unter unvorstellbarem Stress leiden.

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Eklat bei der Fecht-WM

Die Abscheu gegen das ungebrochene russische Drehen an der Eskalationsschraube hat immerhin zu drastischen Maßnahmen bei anderen Sportverbänden geführt, die als Form der Unterstützung für die Ukraine teilweise mit ihren eigenen Regeln brechen.

Bei der eben abgelaufenen Fechtweltmeisterschaft in Mailand wurde Olga Kharlan fast unmittelbar nach ihrer unverständlichen Disqualifikation eine Startplatz bei den Olympischen Spielen garantiert. Die Ukrainerin hatte sich geweigert, ihrer besiegten russischen Gegnerin nach dem Gefecht, wie im Regelwerk vorgesehen, die Hand zu schütteln. Diese schon im Vorfeld angekündigte Brüskierung brachte ihr die „schwarze Karte" ein, die im Normalfall eine langfristige Sperre zur Folge hat.

Olympische RingeNach einer Untersuchung, inklusive Augenzeugenberichten, wurde das Urteil jedoch revidiert, weil die russische Verliererin Anna Smirnova Kharlan nicht nur verspottet, sondern sich auch für eine Disqualifikation ihrer Kontrahentin aktiv eingesetzt hatte. IOC-Präsident Thomas Bach, 1976 selbst Fecht-Olympiasieger mit der deutschen Mannschaft, versicherte der Goldmedalleurin von 2008 in einem persönlichen Schreiben, dass sie zu den Wettkämpfen in Paris 2024 willkommen sei.

WTA muss sich entscheiden

Diese Zusicherung ist deshalb von so großer Bedeutung, weil sich Kharlans Vorgehen nicht von jenem einer Elina Svitolina und ihren Landsleuten auf den Tennistouren unterscheidet, die ihren Protest ebenfalls durch einen verweigerten Handshake zum Ausdruck bringen. Doch ein ähnliches Mitgefühl war von der Spitze der WTA bislang nicht zu vernehmen. Dass die ukrainischen Spielerinnen ihre Interessenvertretung wiederholt wegen fehlendem Support scharf kritisiert haben, passt geradezu ins Bild.

Längst ist man aber an einem Punkt angelangt, an dem der konsequente, aber blutleere Standpunkt der WTA, sich in dieser anhaltenden humanitären Katastrophe nicht auf eine Seite schlagen zu wollen, untragbar geworden ist.

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Autor: Tobi
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