Analyse zum Karriereende: Serenas Erbe
Zum Schluss verlängerte Serena Williams bei den US Open ihren wahrscheinlichen Abschied von der Weltbühne des Tennissports um zwei Matches. Welches Vermächtnis die vielleicht größte Spielerin aller Zeiten den nachrückenden Generationen hinterlassen will, sollte die so facettenreiche Diva aber am besten selbst definieren.
Leidenschaftliche Dankbarkeit
Nach den zahllosen Ehrungen, samt würdigender Ansprachen, huldigende Videomontagen, Standing Ovations und Namensrufe von den Rängen des Arthur Ashe Stadiums, schien es angebracht, Serena Williams selbst die finale Abrundung ihres Vermächtnisses formulieren zu lassen.
Insofern war es nur logisch, dass sich die Abschlussfrage bei der Pressekonferenz nach ihrem letzten Match bei den US Open, und vermutlich ihrer Karriere, darum drehte, wie sie selbst gerne in Erinnerung bleiben würde.
„Ich glaube ernsthaft, dass ich dem Tennissport etwas gegeben habe und noch immer gebe. Die verschiedenen Looks, die geballte Faust, diese verrückte Intensität. Leidenschaft ist, denke ich, das passende Wort dafür. Bei all den Ups and Downs einfach weitermachen", antwortete die Kalifornierin am späten Freitag Abend in den Katakomben der Anlage. „Ich könnte wesentlich mehr Dinge aufzählen, bin aber offen gestanden nur dankbar, diesen Moment erlebt zu haben - und dass ich Serena bin."
– Serena Williams
Beispiellose Meritenliste
Die kompakte Aussage umschrieb umfassend, was Serena Williams eigentlich ausmacht. Dabei erwähnte die Tennisdiva, die Ende des Monates ihren 41. Geburtstag feiert, gar nicht ihre jahrzehntelange Dominanz auf dem Court oder irgendeine Statistik, die ihr unvergleichliches Talent mit dem Racket beschrieben hätte.
G.O.A.T.-Debatte über Tennissport hinaus
Ob Frau oder Mann, diese oder frühere Generationen, ihre oder eine andere Disziplin: Man kann Serena Williams angesichts ihres Stammplatzes in der Ruhmeshalle der Superstars nicht endgültig bewerten, ohne sie für den ultimativen Ehrentitel der „Greatest of All Time" zu berücksichtigen. Bei ihrer Drittrunden-Niederlage gegen die später an Liudmila Samsonova gescheiterte Ajla Tomljanovic hielt ein gewiefter Zuschauer ein Plakat auf, das lediglich die Zeichnung einer Ziege (bzw. eines G.O.A.T.) zeigte.
„Sie ist eine Allzeit-Größe. Und selbst diese Bezeichnung ist eine Untertreibung", verneigte sich sogar Martina Navratilova, die mit 18 Major-Titeln ja selbst in diese Debatte einbezogen werden muss.
– Martina Navratilova
Weitreichender Einfluss
Doch der Einfluss von Williams im Tennissport geht weit über sportliche Errungenschaften hinaus. Seit Althea Gibson in den 1950er-Jahren hatte keine schwarze Frau ein Grand-Slam-Turnier gewonnen, bis Serena 17 Lenzen zählend in Flushing Meadows 1999 triumphierte.
In den folgenden über zwei Jahrzehnten inspirierte die Pionierin des Powertennis mit Schwester Venus, die selbst sieben Major-Trophäen im Einzel erobern konnte, nachrückende Topspielerinnen wie Naomi Osaka, Coco Gauff und andere, auf Tennis zu setzen, trieb aber auch junge Menschen abseits des Courts an, ihren Blickwinkel zu verändern, was sie überhaupt erreichen könnten und was nicht.
„Das Sprichwort, dass kein Traum zu groß ist, verkörpert Serena förmlich", meinte Tomljanovic, nachdem sie Williams in die Sportrente verabschiedet hatte. „Du kannst alles schaffen, wenn du nur an dich glaubst, liebst, was du machst und ein unglaubliches Netz an Unterstützung um dich herum spinnst."
– Ajla Tomljanovic
Unbändiger Kampfgeist
Aber da gibt's noch mehr: Williams eroberte während ihrer Schwangerschaft einen Grand-Slam-Titel, erlebte schreckliche gesundheitliche Komplikationen nach der Geburt ihrer Tochter Olympia 2017, kehrte danach auf die Tour zurück und erreichte vier weitere Major-Finals. Und sie besitzt ein Risikokapital-Unternehmen, das über hundert Millionen Dollar aufgebracht hat.
„Alle schauen auf sie und versuchen, wie Serena zu sein", sagt Caroline Garcia, Frau der Stunde, die im Viertelfinale der US Open am Dienstag auf Supertalent Coco Gauff trifft. „Ich bin mir auch sicher, dass dieses Bestreben, ihr nachzueifern, bei vielen Spielerinnen noch jahrelang anhalten wird."
– Caroline Garcia
Auf dem Tennisplatz zog sich Williams an, was sie wollte. Sie reagierte, wie sie wollte, während und nach den Matches. Sie sagte, was sie wollte und sprach ab und an soziale Themen an, manchmal auch nicht, doch lag stets das Gefühl in der Luft, dass allein sie diejenige war, die entscheiden würde.
Bereit für nächsten Kapitel
Selbstverständlich musste Serena auch Kritik einstecken. Einige Beobachter fragten sich, ob sie tatsächlich alle Dinge richtig angehen würde. Mit Gegenwind war die Familie Williams aber schon früh konfrontiert. So hatte es nicht jeder als gut empfunden, dass Vater Richard seine Töchter von den Nachwuchs-Touren fernhielt. Der Erfolg gab ihm aber letztlich recht.
„Ich werde sie definitiv am Circuit vermissen", diktierte Tomljanovic den Journalisten in die Notizhefte und sprach so vielen Leuten aus der Seele. „Es wird nicht mehr dasselbe sein." Tennis wird ohne Serena garantiert nicht dasselbe sein, nicht einmal annähernd.
– Ajla Tomljanovic
Aber auch das ist okay. Es sei Zeit, wie Williams in ihrer Abschiedsankündigung in der Vogue zu Protokoll gegeben hatte, sich von den Tagen als Profisportlerin wegzuentwickeln. Sie wolle ihre zusätzliche Energie in ihre Rolle als Mutter und Business-Frau legen und was auch immer das Leben sonst für sie parat habe. „Ich habe eine so glänzende Zukunft vor mir."