Wimbledon-Ausschlüsse: Unerwünschter Effekt?
Mit ihrer Entscheidung, wegen Vladimir Putins Überfall auf die Ukraine keine Spielerinnen und Spieler aus Russland bzw. Belarus zum diesjährigen Grand-Slam-Turnier in Wimbledon zuzulassen, erntet die britische Regierung viel Kritik. Die ATP droht gar, bei Vollstreckung der Maßnahme keine Weltranglistenpunkte beim Rasen-Klassiker zu vergeben. Wer davon am meisten profitieren würde? Daniil Medvedev.
ATP-Spielerrat drängt auf Gegenmaßnahmen
Gerüchten zufolge drängt der Spielerrat der ATP vehement dazu, die Drohung tatsächlich umzusetzen. Die Maßnahme würde wohl für einen ähnlichen Aufruhr sorgen wie der legendäre Wimbledon-Boykott 1973, als 81 Akteure aus Protest gegen die Suspendierung von Niki Pilic auf eine Teilnahme bei den All England Championships verzichteten, darunter die beiden vorangegangenen Gewinner John Newcombe und Stan Smith.
Rasensaison bringt wertvolle Punkte
Um die Gewichtung der Turniere auf grünem Naturbelag zu werten, möge man sich lediglich vorstellen, welche Auswirkungen die Herabstufung der englischen Rasensaison des Vorjahres zu reinen Exhibition-Turniere auf die aktuelle Weltrangliste hätte.
Entscheidende Ranking-Sprünge in Wimbledon
Ein großer Verlierer wäre 2021 Matteo Berrettini gewesen. Der Italiener gewann letztes Jahr das klassische Wimbledon-Vorbereitungsturnier im Londoner Queen's Club und erreichte im Anschluss das Finale des Rasen-Grand-Slams. Im Ranking würde der Aufschlaggigant aus den Top 10 fallen und sich um Platz 16 wiederfinden.
Die beiden Semifinal-Verlierer beim letztjährigen Wimbledon-Turnier, Hubert Hurkacz und Denis Shapovalov müssten ebenfalls den Preis für nicht erspielbare Punkte zahlen. Der aktuell auf Position 13 platzierte Pole hätte in absehbarer Zeit keine Aussichten auf einen Top-10-Rang. Der Kanadier, derzeit 15. der Welt, fiele sogar aus den Top 20, zumal er auch im Queen's Club in der Vorschlussrunde stand.
Djokovic und Federer als große Verlierer
Und dann gäbe es den sehr speziellen Fall von Roger Federer. Der Schweizer, der wegen anhaltender Kniebeschwerden seit mittlerweile fast einem Jahr kein Match mehr bestritten hat, nagt nicht nur an seinem Wimbledon-Viertelfinale aus dem vergangenen Jahr, sondern auch an der Hälfte der Zähler von 2019. Damals war der Maestro in einem epischen Finale Novak Djokovic unterlegen, im folgenden Sommer fiel die Tour der Pandemie zum Opfer, die Ranglistenpunkte wurden eingefroren.
Kurzum: Federer, derzeit Nummer 46 im ATP-Computer, würde von seinen 1030 Punkten 600 verlieren und aus den besten 100 der Welt hinausfallen. Und der Absturz hätte vor Beginn der Rasenturniere noch dramatischer ausfallen können, da der 20-fache Major-Gewinner noch ein Achtelfinale von Roland Garros zu verteidigen hat.
Medvedev zeigt Verständnis
Zufall oder nicht, hatte der nach einem Leistenbruch in dieser Woche in Genf sein Tour-Comeback gebende Russe keine englischen Events in seinem Turnierkalender aufgelistet. Medvedev wollte sich ursprünglich in 's-Hertogenbosch und Halle für Wimbledon einschlagen, eine kurzfristige Nennung für Mallorca stand ebenfalls im Raum. Da der 26-Jährige kaum Punkte in dieser Zeit zu verteidigen hat, wäre er eine Ironie des Schicksals, wenn ausgerechnet die Nummer zwei der Welt von den ATP-Maßnahmen profitiert.
Apropos: Nach wochenlangem Schweigen meldete sich Medvedev am Montag zum möglichen Ausschluss in Wimbledon zu Wort. Und im Gegensatz zu ebenso betroffene Kollegen wie Andrey Rublev und Victoria Azarenka zeigt der Moskauer durchaus Verständnis für die „verzwickte Situation", wie er es nennt. „Es ist wie immer im Leben. Wenn du hundert Spieler fragst, bekommst du hundert verschiedene Antworten."