US-Herren: Das Ende einer Supermacht?
Inmitten der europäischen Sandplatz-Saison erlebt das US-Herrentennis einen beispiellosen Niedergang. Erstmals in der Geschichte steht kein Amerikaner in den Top 30 der Weltrangliste. Zwar sendet der Nachwuchs Signale der Hoffnung aus, doch auch die Kids mögen es lieber auf die harte Tour. Und der Trend zeigt: Nur wer auch auf Asche besteht, ist zu höheren Weihen berufen.
Rote Asche als Treibsand für US-Boys
In diesem Frühjahr reisten mehr Amerikaner als üblich nach Europa, um sich wieder einmal auf Sand zu probieren. Die Ausbeute blieb bislang fast erwartungsgemäß bescheiden, dementsprechend nüchtern werden auch die Erwartungen für die am 30. Mai beginnenden French Open eingeschätzt.
Klar, auf Hardcourt fühlen sich die US-Boys wohler, jenem Belag, auf dem sie aufgewachsen sind und schnell auf den Punktschlag gehen können. Rutschen und Timing auf roter Asche müssen hingegen mühsam erlernt werden, die Ballwechsel und Matches dauern tendenziell länger.Und die Statistik belegt dieses geringe Vertrautheit mit dem Sandplatz-Tennis. Bei den French Open gab es in der Open Era lediglich vier Einzeltitel für die US-Männer, den letzten errang Andre Agassi vor 22 Jahren. Bei den drei auf körnigem Untergrund ausgetragenen Masters-Turnieren fuhren die Amerikaner insgesamt nur zehn Titel seit der Öffnung für Profis 1968 ein.
Kein Grand-Slam-Titel seit 18 Jahren
Doch die Baustelle im US-Herrentennis einzig auf die saisonalen Sandplatz-Turniere zu beschränken, wäre viel zu kurz gegriffen, wie ein weiterer Blick auf die Zahlen zeigt: Zwar stellen die USA mit zehn Spielern das größte Kontingent unter den ersten 100 der Weltrangliste, doch spuckte der Computer in der vergangenen Woche erstmals seit der Einführung des ATP-Rankings am 23. August 1973 keinen Ami unter den Top 30 aus.
Jimmy Connors, John McEnroe, Pete Sampras, Andre Agassi, Jim Courier und Andy Roddick thronten alle einst an der Spitze. Letztgenannter hielt den Platz an der Sonne 13 Wochen lang bis 1. Februar 2004. Seither wartet die einstige Supermacht auf einen Weltranglistenersten auf Herrenseite. Der Mann aus Nebraska ist auch der letzte amerikanische Grand-Slam-Sieger, 2003 holte Roddick den Titel bei den US Open.
Aufschlaggiganten stoßen an Grenzen
Nummer eins im Land ist aktuell Taylor Fritz auf den ernüchternden 32. Platz. Der Kalifornier startete mit dem Cagliari-Semifinale gut in die europäische Asche-Saison, bei den drei Masters-Events auf staubigem Geläuf in Monte Carlo, Madrid und Rom gewann er allerdings nur ein einziges Match.
Auf seinem Instagram-Account freut sich Fritz über das gewonnene Match in Rom.
Routinier John Isner kann immerhin für sich in Anspruch nehmen, während des Trips in die Alte Welt um vier Ränge auf Position 34 hochgeklettert zu sein. Der 2,08-Meter-Riese servierte sich ins Madrider Viertelfinale, in dem er dem zweimaligen Paris-Finalisten Dominic Thiem sogar einen Satz abrang.
Den größten Sprung schaffte Reilly Opelka, der dank seines Rom-Halbfinales, in dem ihn Turniersieger Rafael Nadal stoppte, mit Rang 35 um zwölf Plätze besser dasteht als vergangene Woche. Doch auch der Landsmann Isner um drei Zentimeter überragende 23-Jährige gilt als aufschlagstarker Powerhitter, seine zwei ATP-Titel holte der einstige Wimbledon-Junioren-Champion auf Hartplatz.
Bei Highlights in der Statistenrolle
Besonders bitter für die USA: Kanada, oft belächelter kleiner Bruder aus dem Norden, kann mit Denis Shapovalov (15), Milos Raonic (16) und Felix Auger- Aliassime (19) derzeit auf drei Spieler in den Top 20 verweisen. Vor allem den beiden Jungstars mit russisch-israelischen bzw. togolesischen Wurzeln werden die notwendigen Anlagen für höhere Würden attestiert.
„Die Situation ist sehr beunruhigend", gesteht Martin Blackman, Chef für Spielerentwicklung beim amerikanischen Verband USTA, gegenüber der Associated Press. „Wir stecken uns wirklich hohe Ziele, wollen permanent Top-10-Spieler und Grand-Slam-Champions haben."
Hoffnungsträger mit Siegergenen
Die größte Hoffnung setzt man bei der USTA in Sebastian Korda. Der Sohn des früheren tschechischen Australian-Open-Champions Petr versteht es, den Ball hart und flach zu schlagen, Attribute, die eher auf schnellen Belägen Wirkung zeigen. Auf Sand läuft es hingegen noch unrund, am Montag gewann die Nummer 65 des ATP-Rankings in Lyon seine erste Partie auf europäischem Boden in dieser Saison.
Absolutely ELECTRIC pass ⚡⚡
a stunner from @SebiKorda on the run…@OpenParcARA pic.twitter.com/6nfleyeE79
- Tennis TV (@TennisTV) May 17, 2021
Sebastian Korda bei den Lyon Open. Im Achtelfinale scheiterte er am Italiener Lorenzo Musetti.
„Wie Taylor und Reilly verfügt Seb über jede Menge Potenzial, das er nur ausreizen musst", ist Blackman überzeugt. „Sie haben alle gute Betreuerstäbe und arbeiten hart." Korda, mit 20 Jahren jüngster Amerikaner in den Top 100, wird etwa vom ehemaligen Weltklassespieler Radek Štěpánek gecoacht, sein Mentor ist ein gewisser Andre Agassi. „Dinge wie das richtige Umfeld können wir steuern. Ansonsten müssen wir den Prozess einfach laufen lassen", so Blackman.
Damen halten US-Fahne hoch
Bei den Damen schlagen sich die USA wesentlich besser. 16 Spielerinnen befinden sich unter den besten 100 der Welt, davon sieben in den Top 30. Angeführt werden die US-Girls von der Nummer fünf Sofia Kenin, Serena Williams liegt aktuell auf Rang acht.
Doch auch die Frauen, bei denen die unterschiedlichen Belag-Eigenschaften oft eine untergeordnete Rolle spielen, haben in diesem Jahr auf Sand zu kämpfen. Kenin, im Herbst immerhin French-Open-Finalistin, weist etwa eine Saisonbilanz auf roter Asche von null Siegen und drei Niederlagen auf.
Starke Grand-Slam-Bilanz
Dennoch: Bemerkenswerte 18 der letzten 25 Grand-Slam-Finals im Damen-Einzel fanden mit amerikanischer Beteiligung statt, und zahlreiche Top-Spielerinnen stehen noch am Anfang ihrer Profikarriere.
Auch Jugend mit Power statt Touch
Als Jahrgang 2004 könnte Gauff, die bereits vor drei Jahren zu den Profis wechselte, freilich noch bei Nachwuchsturnieren aufschlagen. Derzeit stehen 13 Amerikanerinnen in den Top 100 des Juniorenrankings, bei den Buben sind es sogar 15, drei davon unter den ersten Zehn.
Doch auch die Kids prügeln in den USA die Bälle vorzugsweise mit möglichst viel Kraft übers Netz. Doch geht der Trend im Welttennis in eine eindeutige Richtung: Wer nicht die Feinheiten des technischeren Sandplatz-Tennis meistert, wird sich bei den Echten nur schwer durchsetzen.