Analyse: Spieler vs. Schiedsrichter
Anlässlich des von Alexander Zverev ausgelösten Eklats in Acapulco wurde zuletzt viel über das generelle Verhalten von Spielern gegenüber Offiziellen diskutiert. Doch sollte der Tennissport den Fokus nicht viel mehr darauf legen, wie Schiedsrichter ausrastende Profis unmittelbar bestrafen und sich vor deren Attacken schützen können?
Vorfälle häufen sich
Bei seiner Viertelfinal-Niederlage gegen Rafael Nadal bei den Australian Open bezeichnete Denis Shapovalov Stuhlschiedsrichter Carlos Bernardes und die anderen eingeteilten Offiziellen unverblümt als korrupt. In der Vorschlussrunde von Melbourne fragte Daniil Medvedev während seines Matches gegen Stefanos Tsitsipas den unerfahrenen Chair Umpire Jaume Campistol, ob er dumm sei und bezeichnete ihn abfällig als kleine Katze.
Zverev out of control
Und Alexander Zverev brannten vergangene Woche in einer relativ unbedeutenden Doppel-Partie in Acapulco nach einem knappen Linienball völlig die Sicherungen durch. Der Titelverteidiger im Einzel bedachte den Unparteiischen Alessandro Germani mit wüsten Kraftausdrücken, schmetterte nach dem Match seinen Schläger mehrfach gegen den Stuhl des Italieners und verfehlte nur knapp dessen Beine, ehe er von den Veranstaltern aus dem Turnier geworfen wurde.
Der beispiellose Wutausbruch des 24-Jährigen ist der mit Abstand schlimmste der drei Vorfälle und stellt den Tiefpunkt einer bedauerlichen Entwicklung an Fehlverhalten von Topspielern gegenüber Schiedsrichtern dar.
Neue Konfliktfelder
Mit der Einführung des Hawk-Eye-Replays 2005 glaubte man, dass die Zeiten von wilden Unmutsbekundungen von Profis der Vergangenheit angehören würden. Tatsächlich haben die Diskussionen zwischen den Akteuren und Spielleitern in den letzten 15 Jahren abgenommen. Das Electronic Line Calling, das beim Vorfall in Acapulco aufgrund der Ansetzung auf einem Außenplatz nicht zum Einsatz kam, dürfte den Trend weiter fortsetzen.Auf der anderen Seite entstehen im modernen Tennis ständig neue Konfliktfelder, die Spieler in der Hitze des Gefechtes die Nerven wegwerfen lassen. So kann etwa ein unerlaubtes Coaching oder der langsame Spielrhythmus des Gegners ein zündende Moment für einen Eklat sein. Doch wie kann man dagegen vorgehen?
Schiedsrichter reagieren kaum
Die genannten Protagonisten zeigten sich im Anschluss allesamt reumütig. Shapovalov meinte, sein Verhalten sei unentschuldbar, Medvedev sprach von einem Fehler, Zverev nannte seinen Ausraster falsch und inakzeptabel. Alle drei wurden sanktioniert. Der Kanadier musste 8.000 Dollar Strafe zahlen, der Russe 12.000, der Hamburger wurde aus dem Turnier ausgeschlosssen und muss mit einer Sperre vonseiten der ATP rechnen. Diese Wochenende ist Zverev jedenfalls beim vom Weltverband ITF organisierten Davis Cup in Brasilien im Einsatz.
Spielabbruch als letztes Szenario
Historisch betrachtet haben Schiedsrichter den Profis stets einen recht großzügigen Spielraum gewährt, ihrem Ärger Luft zu geben: Besser in der Emotion des Augenblicks ein wenig Ringstaub aufkommen zu lassen, als hart durchzugreifen und eine gewaltige Explosion zu provozieren. Zudem entsteht der Eindruck, dass Unparteiische zögern, eine Verwarnung auszusprechen, weil sie nicht in den Verdacht geraten wollen, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen.
Allzu präsent sind noch die Erinnerungen an Carlos Ramos, als er sich im Damen-Finale der US Open 2018 mit Serena Williams anlegte. Eine Verwarnung wegen unsportlichem Verhalten kann schnell zum Entzug eine Punktes, eines Games und letztlich des Matches führen. Ein Abbruch ist weder für den Schiedsrichter, noch die Zuschauer und schon gar nicht für die Spieler zufriedenstellend, es sei denn, es gibt gar keine andere Möglichkeit.
Respekt gegenüber Schiedsrichtern fehlt
Verstöße für das Zerstören von Schlägern oder regelmäßige Verwarnungen für Zeitüberschreitungen werden im Tennis automatisch geahndet. Für Attacken auf Offizielle gibt es aber bislang kaum Strafen, geschweige denn Abschreckungen. Dabei wirkt das Zertrümmern eines Rackets auf die Fans weit weniger abstoßend als despektierliches Verhalten gegenüber Spielleitern.
Im Idealfall sollten die Profis verstehen, dass Verbalattacken auf Schiedsrichter unabdingbar Konsequenzen mit sich ziehen. In Sportarten wie Basketball oder Rugby funktioniert dies tadellos, beim Fußball wird Schiedsrichterkritik immerhin mit einer gelben Karte geahndet.
Verbalattacken wie Zeitüberschreitungen kategorisieren?
Freilich werden Strafen nicht jede angespannte Situation lösen oder einen aufgewühlten Spieler immer beruhigen. Wenn das Adrenalin überschwappt, wird Irrationalität leider zur Norm. Die inzwischen verfestigte Kultur des fehlenden Respekts vor Offiziellen stellt aber ein anhaltendes Problem im Tennissport dar.
Acapulco-Eklat als Anlass zum Handeln
So wuchs das flegelhafte Verhalten von John McEnroe, Jimmy Connors und Ilie Năstase in den Siebzigern und Achtzigern auf dem Court über Generationen zur Standard-Einstellung gegenüber Chair Umpire und wurde nie wirklich einer Korrektur unterzogen. Natürlich schreit, schimpft und tritt heutzutage kaum ein Spieler so unkontrolliert um sich wie einst Johnny Mac. Doch an Schiedsrichter gerichtete Schimpftiraden bleiben unabhängig von der abfälligen Tonlage zu oft ohne Konsequenzen.
Wenn Sascha Zverevs unrühmlicher Ausraster von Acapulco keinen Grund bietet, das Verhältnis zwischen Profis und Offiziellen genauer unter die Lupe zu nehmen, ist schwer vorstellbar, welchen Anlass man für das Entwickeln eines zivilisierteren Umgangs miteinander noch braucht.