Carlos Alcaraz: Allrounder mit Sand-Faible
Seine ersten großen Erfolge auf der Profitour hatte Supertalent Carlos Alcaraz auf Hardcourt gefeiert. Doch vor allem auf der Terre Battue scheint sein Potenzial schier unerschöpflich zu sein. Bei allen vier bestrittenen Asche-Events in diesem Jahr erreichte der Spanier das Finale, dreimal holte er auch den Titel. Folgt nun die ultimative Krönung?
Größere Erfolge auf Hartplatz
Dass Carlos Alcaraz seinen ersten Masters-Titel ebenso auf Hardcourt bejubelte wie seinen premieren Grand-Slam-Triumph, mag für zahlreiche Beobachter überraschend gewesen sein. Im Zuge seiner Erfolge in Miami und bei den US Open 2022 erklärte der junge Spanier sogar, sich auf festem Untergrund wohler zu fühlen als auf rutschigem. Womöglich, um von den unvermeidlichen Vergleichen mit Landsmann Rafael Nadal abzulenken.
Doch selbst wenn er - zumindest bis zu einem allfälligen Gewinn der French Open - nicht als purer Sandwühler gilt, ergibt eine Analyse seine Spiels, dass Alcaraz auf der Terre Battue sehr wohl effektiver agiert als auf anderen Böden.
Statement in Madrid 2022
Bevor er wie ein Tornado über die ATP-Tour zu wüten begann, hatte das Phänomen aus El Palmar fünf seiner sieben Titel auf Future- und Challenger-Niveau auf roter Asche geholt. Seinen ersten Turniersieg am großen Circuit feierte er in Umag 2021 ebenfalls auf diesem Belag. Sieben seiner zehn ATP-Trophäen eroberte Alcaraz auf Sand, davon die 1000er-Events in Madrid 2022 und 2023.
Seine fabelhafte Reise in der spanischen Hauptstadt, wo er Alexander Zverev im Finale deklassierte, musste der Shootingstar im Vorjahr teuer bezahlen. Ein lädierter Knöchel bremste sein schier unaufhaltsames Momentum, es folgte die Absage für Rom, zwei Wochen später revanchierte sich die deutsche Nummer eins im Viertelfinale von Roland Garros.
Auf Asche sozialisiert
Die Niederlage gegen Zverev steuerte vermutlich ihren Teil dazu bei, Alcaraz das Etikett des besten spanischen Hardcourt-Spielers aller Zeiten umzuhängen. Dabei war er einst auf den Sandplätzen der Real Sociedad Club de Campo de Murcia sportlich sozialisiert worden.
Im königlichen Tennisverein eignete er sich eine breite Palette von Attributen an, die einen Clay-Fighter erst auszeichnen, insbesondere die fantastische Beweglichkeit mit atemberaubender Geschwindigkeit, Explosivität und Ausdauer. Kein Tour-Profi kommt derzeit an diese Qualitäten von Alcaraz heran, und jede Woche scheinen sie noch ein Stück besser zu werden.
Erstaunlicher Vorhandspin
„Verglichen mit Nadal, der ursprünglich ein reiner Sandplatzspieler war und erst über die Jahre gelernt hat, auch auf anderen Belägen erfolgreich zu sein, ist Carlos ein natürlicher All-Court-Spieler", meint Starcoach Patrick Mouratoglou.
Zur Liste könnte man noch den extremen Drall hinzufügen, der auf diesem Terrain besondere Effektivität entfaltet. In Madrid, wo die Höhenlage von 657 Metern über dem Meeresspiegel den Spin zugunsten des Topspeeds etwas entschärft, erzeugte der Rechtshänder in diesem Jahr mit der Vorhand im Schnitt trotzdem 2915 Umdrehungen pro Minute.
Einzig Casper Ruud verpasste in der laufenden Saison dem Ball einen noch schwindelerregenderen Drall. In Monte-Carlo sprengte der Norweger die 3000er-Marke, allerdings im direkt am Mittelmeer gelegenen Country Club bei dafür wesentlich zuträglicheren Bedingungen.
In diesem Jahr noch konstanter
Auf der Rückhandseite war Alcaraz in der Madrider Caja Magica mit durchschnittlich 1868 Umdrehungen einigermaßen weit weg von den Topwerten eines Richard Gasquet, Stefanos Tsitsipas oder Casper Ruud, die im Fürstentum allesamt jenseits der 2500 lagen.
Andererseits setzt der nach der Masters-Veranstaltung in Rom wieder fix zur Nummer eins im Ranking aufsteigende Dauerläufer den Schlag anders ein als das erwähnte Trio, mit weniger Fokus auf Absprunghöhe und Winkel als auf taktische Präzision und Endgeschwindigkeit.
29 seiner 31 Matches, konnte Alcaraz in diesem Jahr für sich entscheiden, 19 von 20 auf Sand. Was er in diesem Jahr besser macht? „Ich kann den Fokus inzwischen über die gesamte Partie halten und den Gegner besser lesen", lautet die Selbsteinschätzung des Modellathleten. Doch auch taktisch hat er einen großen Schritt nach vorne gemacht gemacht, passt seinen Matchplan je nach Situation an. Und im Gegensatz zur vergangenen Saison, in der er schon viele freie Punkte mit dem Aufschlag bekam, nützt der amtierende US-Open-Champion auch sein Service effizienter, um den nächsten Schlag vorzubereiten.
Bessere Kopie seines Lehrmeisters
Die Spielanlage ähnelt im Grunde jener seines Trainers Juan Carlos Ferrero, der einst seine Gegner ebenfalls mit der Vorhand kontrollierte und regelmäßig den Stoppball einsetzte, der zu seiner aktiven Zeit um die Millenniumswende bereits etwas aus der Mode gekommen war. Doch wie Nadal, galt auch Ferrero ursprünglich als reiner Sandwühler, der sich erst später auch mit schnelleren Untergründen anfreundete und es 2003 bis ins US-Open-Finale schaffte.
Alcaraz wiederum hat sich von klein auf einen perfekt ausbalancierten Stil angelegt, der den Ansprüchen des modernen Tennis entspricht, zumal die Unterschiede zwischen den einzelnen Belägen stetig geringer werden. Im Vergleich zu Ferrero, der wie viele Sandplatzspieler der Vergangenheit eher schlaksig gebaut war, zeichnet seinen kräftigen Schützling ein wesentlich offensiveres Spiel aus.
Höchste Siegquote der ATP-Geschichte
Diese Qualitäten setzen auch ein erfolgreiches Abschneiden auf allen Varianten von Sandplätzen voraus. Auf schwerer Asche, wie sie aufgrund der schlechten Wettervorhersagen in Rom zu erwarten ist, ist Power gefragt, um mit den Schlägen effektiv durchzukommen. Auf schnellen Courts, wie in der Höhe von Madrid, sind Spieler mit mehr Drive und brachialen Aufschlägen im Vorteil, wie man am Lauf von Jan-Lennard Struff oder auch Aryna Sabalenka sehen konnte.
Noch zwei Höhepunkte im Frühjahr
Einzig auf Rasen, wo man mit Leichtfüßigkeit und Balance zum Erfolg gelangt, tut sich Alcaraz noch schwer. Die bemerkenswerte Gabe, schnell zu lernen und sich technisch wie taktisch an unterschiedliche Gegebenheiten anzupassen, dürfte ihn aber bald auch zu sportlichen Würden auf dem grünen Gras führen. Und: Von seinen bisher sechs Rasen-Partien, alle in Wimbledon, gewann er immerhin vier.
Einen weiteren Monat zieht der große Wanderzirkus der ATP jedoch noch auf körnigem Terrain über die Lande. Die großen verbliebenen Haltestellen seiner Frühjahrsreise sind in Rom und Paris. Vor allem in der französischen Hauptstadt könnte sich Alcaraz ein Königreich aufbauen.