Sandsaison: Nadals letzter Tango?
Der lange Aufgalopp zu den French Open stellt für die Tennisprofis die härteste und intensivste Zeit des Jahres dar. Einst von Rafael Nadal wieder in den globalen Fokus gerückt, dürfte die Sandplatzsaison auch in Zukunft kaum an Bedeutung verlieren. Die Thronfolge ist jedenfalls schon jetzt hart umkämpft. Die Geschichte lehrt aber, dass man selbst einen angeschlagenen König nie abschreiben darf.
Längste und intensivste Saisonphase
Im malerischen Ambiente des auf einer Klippe gelegenen und von der französischen Riviera umrahmten Monte-Carlo Country Clubs startete diese Woche die intensivste Zeit des Jahres. Seit 2005 hat sich Rafael Nadal jede Saison von April bis Juni mit einem seiner beiden Rivalen aus den Big 3 - zuerst Roger Federer, später Novak Djokovic - im Aufgalopp zu den French Open quer über die europäischen Sandplätzen epische Duelle geliefert.
Nadals professionelle Geburtsstunde
Die Sandplatzsaison hat in den letzten zwei Jahrzehnten einen neuen Stellenwert erlangt. Davor war das Tennis im Frühling vor allem im für den Sport so wichtigen amerikanischen Markt auf Tauchstation gegangen, die Sportberichterstattung drehte sich fast ausschließlich um die US-Profiligen. Von den Masters-Events in Monte-Carlo, Rom und seinerzeit Hamburg wurden, wenn überhaupt, nur Ausschnitte der Endspiele gezeigt.
Erst mit dem Aufstieg eines 18-jährigen Mallorquiners änderte sich die internationale Wahrnehmung. Damals hatte Rafa Nadal in zwei packenden Best-of-Five-Finals in Monte-Carlo und Rom Guillermo Coria niedergerungen, danach in einem öffentlich aufgebauschten Paris-Semifinale Roger Federer aus dem Turnier geworfen.
Big-3-Rivaltät auf Sand gebaut
Der Hype hielt sich auch im folgenden Jahr, als Nadal sowohl im Fürstentum als auch im Foro Italico das Titelmatch gegen Federer für sich entschied und ihn anschließend auch noch im Showdown der French Open um den Gewinn der Coupe des Mousquetaires brachte. Es war der Beginn einer fesselnden Rivalität und rückte die Aschesaison auch abseits Europas in den Fokus, wie zu den Glanzzeiten von Björn Borg, Guillermo Vilas und Adriano Panatta in den 1970er-Jahren.
Wieder ein Jahr später crashte ein weiterer hochveranlagter Teenager die Party. Und über die nächsten fünf Spielzeiten würde dieser Novak Djokovic sukzessive Roger Federer als großen Widersacher Nadals auf Sand ablösen. Einige der legendärsten Schlachten zwischen den beiden Ikonen wurden auf körnigem Terrain ausgetragen. So stechen das nach vier Stunden vom Spanier gewonnene Semifinalduell in Madrid 2009 und der schier unwirkliche Zweisatzerfolg des Serben im Rom-Viertelfinale 2016 hervor.
Anwärter Alcaraz und Tsitsipas
Zwei grundsätzliche Fragen stellten sich stets zu Beginn des europäischen Frühlings: Kann Nadal seine Dominanz auf Sand aufrechterhalten? Und werden Federer und Djokovic jemals die French Open gewinnen? Dem Baseler gelang dies 2009, dem Belgrader 2016 und 2021. Im virtuellen Wettstreit um den Titel des Größten aller Zeiten nimmt Roland Garros durchaus eine Sonderstellung ein, da Nadal am Bois de Boulogne die besten Aussichten hat, mit Djokovic im G.O.A.T.-Rennen Schritt zu halten.
Diese Dynamik begann in den vergangenen zwei Jahren allerdings eine neue Wendung zu nehmen, erheben doch nun zwei weitere Namen Anspruch auf den Pariser Thron. 2021 triumphierte Stefanos Tsitsipas in Monte-Carlo und erreichte das Finale der French Open. Und 2022 eliminierte Carlos Alcaraz Nadal und Djokovic nacheinander in Madrid. Gleichzeitig stahl der Djoker dem King of Clay vor zwei Jahren den Titel in der französischen Hauptstadt, ehe der Stier aus Manacor zwölf Monate später zurückschlug.
Aschegötter mit Verletzungssorgen
Und 2023? Die Ausgangslage hat sich nur geringfügig geändert. Djokovic feierte bei den Australian Open seinen 22. Grand-Slam-Sieg und zog so mit Nadal gleich. Alcaraz präsentierte sich seinerseits in Indian Wells und Miami überragend, musste aber wegen einer posttraumatischen Arthritis in der linken Hand und muskulären Beschwerden an der Wirbelsäule für Monte-Carlo absagen.
Auch Nadal fehlt an der Côte d'Azur, seit der in Melbourne zugezogenen Hüftverletzung Mitte Januar hat der Linkshänder kein Match mehr bestritten. Beim Heimspiel kommende Woche in Barcelona muss er ebenfalls passen und hofft nun auf eine Rückkehr beim ATP1000 in Madrid.
Dadurch könnte sich Stefanos Tsitsipas wieder ins Gespräch bringen. Allerdings plagten dem doppelten Titelverteidiger in Monaco zuletzt Schulterprobleme. Djokovic, der nach zwei Monaten Turnierpause ein Tour-Comeback gibt, brachte das Masters in seiner Wahlheimat in den vergangenen Jahren wiederum kein Glück. Bleibt noch der seit Wochen in Topform agierende Daniil Medvedev, der zur roten Asche aber eine ewige Hassliebe pflegt.
Lange Schlange an Thronfolgern
Letztlich hängt vielleicht alles an jenem Mann, der einst dem Sandplatztennis wieder eine internationale Aufmerksamkeit über Europas Grenzen hinweg bescherte. Doch kann Nadal, der während der French Open seinen 37. Geburtstag feiert, seinen geschundenen Köper noch einmal fit bekommen? Wenn ja, wird es sein letzter Anlauf? Falls nein, würde eine Rivalität zwischen Djokovic, Alcaraz und Tsitsipas von April bis Juni eine ähnliche Intensität entwickeln, die seit Mitte der Nuller-Jahre auf Asche fast selbstverständlich erscheint?
Wiederholt Nadal letztjährigen Husarenritt?
Den Fehler, Nadal abzuschreiben, sollte man aber nicht schon wieder begehen. Schließlich verlieh der Jungvater dem Frühjahr erst jene Bedeutung im Tenniskalender, die es heute hat. Und obwohl der 36-Jährige das Spiel auf Sand über zwei Jahrzehnte praktisch nach Belieben beherrschte, machte er es gleichzeitig nie langweilig.
Und auch im Vorjahr bestritt Nadal wegen einer angeknacksten Rippe vor den French Open lediglich die Masters-Turniere in Madrid und Rom, wo er zusammengerechnet auf bescheidene drei Matcherfolge kam. Im Juni jubelte er dann aber über seinen 14. Einzeltitel in Paris.