Rafael Nadal: Alle Wege führen nach Rom
Erst zweimal in seiner langen Profikarriere reiste Rafael Nadal mit zwei oder weniger Vorbereitungsturnieren in den Beinen zu den French Open nach Paris an. In dieser Saison hat der seit Januar angeschlagene Spanier noch kein einziges Match auf Sand bestritten. Sollte er beim Masters-Event in Rom ebenfalls nicht spielen können, wird es wohl auch mit einem Antreten in Roland Garros eng.
Unerwartet langsamer Heilungsverlauf
Seit einigen Wochen läuft die europäische Sandplatzsaison bereits. Doch jener Mann, der den Sport auf diesem Belag seit knapp zwei Jahrzehnten beherrscht, hat sein letztes Match auf der ATP-Tour im Januar bestritten.
„Die letzten paar Wochen und Monate waren sehr schwer", gesteht Rafael Nadal in einem Video, das er vor wenigen Tagen auf seinen Social-Media-Kanälen veröffentlichte. „Wie ihr wisst, habe ich mir in Australien eine hartnäckige Hüftverletzung zugezogen. Ursprünglich sollte der Genesungsprozess sechs bis acht Wochen dauern, doch jetzt sind wir in der 14. Woche und die Heilung entwickelt sich nicht so, wie wir es erwartet hätten."
Das Statement von Nadal auf Instagram.
Er folge weiterhin dem ärztlichen Rat, doch sei er in einer schwierigen Situation, da die Zeit ohne großen Fortschritt vergehe, sagt der Spanier.
Genf oder Lyon als Notlösung?
Dieser Umstand wirft einen erheblichen Schatten auf die Vorbereitung Nadals auf die French Open. Seine nächste Gelegenheit auf ein Comeback erhält er in Rom. Sollte der zehnmalige Sieger des Masters-Events auch ab 10. Mai im Foro Italico nicht antreten können, kann er noch immer um eine Wildcard bei einem der ATP250er in Genf oder Lyon ansuchen, die am 21. Mai beginnen.
Da diese zwei Veranstaltungen aber unmittelbar vor Roland Garros stattfinden, gilt es als unwahrscheinlich, dass Nadal in seiner derzeitigen Situation drei Turnierwochen am Stück spielt. Eher würde er die Zeit nützen, um sich in der französischen Hauptstadt für sein persönliches Saison-Highlight einzuschlagen.
Zwei Kurzvorbereitungen, zwei Paris-Titel
Doch selbst wenn der 36-Jährige rechtzeitig bis Rom und Paris fit werden sollte, würde ihm die gerade auf roter Asche so wichtige Matchpraxis fehlen. Seit er 2005 erstmals bei den French Open triumphiert hatte, absolvierte Nadal in der Regel drei bis vier Vorbereitungsturniere, bevor er seine Zelte am Bois de Boulogne aufschlug. Meistens gewann der Linkshänder auch diese Events, wodurch er unmittelbar vor dem Asche-Major nicht nur zusätzlich an seinen Stärken feilen konnte, sondern auch das Selbstvertrauen aufbaute.
Im vergangenen Jahr ging Nadal nur bei zwei Events an den Start und kam vor Roland Garros auf nur fünf Sandplatz-Matches. Anfang Juni durfte er dann beim physisch forderndsten Turnier der Saison am Court Philippe-Chartier aber dennoch die Coupe des Mousquetaires zum 14. Mal in Empfang nehmen.
Bodenständige Prägung
Die Vorbereitung stellt zweifellos für jeden Spieler einen wichtigen Faktor dar, doch Nadal legt vor den French Open einen ganz besonderen Wert darauf - nicht nur wegen der Bedeutung von Roland Garros für ihn persönlich, sondern auch aufgrund der beispiellosen Einstellung zu seinem Sport und zum Leben an sich. Obwohl der Mallorquiner öffentlich als Sandplatzkönig geadelt wird, stellt er selbst keinerlei Anspruch auf die Krone.
Nadal wurde seit seiner Kindheit und über weite Strecken seiner Profikarriere von seinem Onkel Toni betreut, der ihn sowohl sportlich als auch menschlich prägte. „Wer glaubt, der König der Welt zu sein, ist meiner Meinung nach wirklich dumm", sagt Toni in seiner gewohnt direkten Art. „Im Leben ist jeder Mensch gleich wichtig." Dieser geerdete Zugang hat auch seinen Neffe maßgeblich geformt. Rafa wurde unter Tonis Führung nie verwöhnt oder verhätschelt, wie man es oft bei Kindern sieht, sobald sie im Nachwuchsbereich ihre ersten Turniermatches gewinnen.
Hausaufgaben erledigen
Bei keinem Grand Slam müssen die Hausaufgaben derart penibel erledigt werden wie vor den French Open. So spielt eine ganze Reihe an Profis im Vorfeld von Wimbledon gar kein Rasenturnier und kommt bei den All England Championships dennoch weit. Die French Open erfordern hingegen ein rigoroses Commitment zu Training, Wettbewerb, Punktaufbau und endlose Anpassungen bei Beinarbeit, Technik, Schläger, Bespannung, Schuhen und Socken.
All diese Faktoren fließen in das Mindset eines effektiven Athleten ein. Wer glaubt, vor oder während der French Open Abkürzungen nehmen zu können, wird den Preis dafür bezahlen. Die Welt konnte während der letzten zwei Jahrzehnte jedenfalls bezeugen, dass Nadal seinem Handwerk so akribisch und aufopferungsvoll nachgeht, wie man es von einem professionellen Tennisspieler nur erwarten kann.
Der Weg ist das Ziel
Im März dieses Jahres fiel der 92-malige Titelgewinner auf der ATP-Tour erstmals seit 2005 aus den Top 10 der Weltrangliste (tenniswetten.de berichtete). Dementsprechend könnte ihn die Setzung in Roland Garros dazu zwingen, früher mit Kalibern wie Novak Djokovic oder Carlos Alcaraz konfrontiert zu werden als in vergangenen Jahren.
Alles hängt von Rom ab
Prognosen zu erstellen, ist im Fall von Rafael Nadal äußerst schwierig, wächst er doch gerade in Roland Garros regelmäßig über sich hinaus, selbst wenn er im Vorfeld mit Verletzungen zu kämpfen hat. Im laufenden Prozess könnten die Italian Open aber eine entscheidende Weggabelung bilden. Sollte er in die ewigen Stadt reisen, sich in die römische Schlacht werfen und sein Körper unabhängig vom Ausgang den Strapazen standhalten, wird er auch für einen Start bei den offenen französischen Meisterschaften bereit sein.
In Paris das erste Turniermatch seit Januar zu spielen, wäre aber ein Verrat an Nadals Wertesystem. Was würde ihm signalisieren, dass er seine Hausaufgaben gemacht hat? Es ist schwer vorstellbar, dass der mit Abstand erfolgreichste Sandplatzspieler aller Zeiten die French Open bestreitet, wenn er nicht glaubt, sein Bestes geben zu können. Er würde wohl das Gefühl haben, seine Gegner, die Veranstalter, die Sponsoren und allen voran, die Zuschauer nicht ausreichend zu respektieren, die gutes Geld zahlen, um einen Bewerb auf absoluten Topniveau zu sehen.
Also Rom oder nichts? Oder nichts und dann doch Paris?